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Greife nie in ein fallendes Messer

Greife nie in ein fallendes Messer

Titel: Greife nie in ein fallendes Messer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedhelm Busch
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Konsultationen unterbricht, zeigt seine ernsthafte Absicht, zu einem positiven Ergebnis zu gelangen. Also bewegen sich die beiden Kontrahenten, die Amerikaner und die Iraker, aufeinander zu. Das kann nur heißen: keine militärischen Auseinandersetzungen nach Ablauf des Ultimatums. Die optimistischen Erwartungen der Börsianer scheinen sich doch noch zu erfüllen.
    Leider ist die Hausse so schnell vorbei, wie sie entstanden ist. In Genf haben die Parteien die Verhandlungen nur wegen des Mittagessens unterbrochen. Von einer Annäherung beider Delegationen kann also keine Rede sein. Aber noch sitzt man zusammen, noch gibt es keine offiziellen Erklärungen, noch gibt es Hoffnung. Der nächste Tag muss die Entscheidung bringen. Während der deutschen Börsenzeit gibt es keine Verlautbarungen aus Genf, nichts sickert durch. Dann, gegen Abend, um 14 Uhr New Yorker Zeit, also noch während der Börsensitzung an der amerikanischen Ostküste, ist es so weit. Die Spannung steigt, über die Ticker läuft die Meldung, die stundenlangen Gespräche seien beendet. Ein gutes Vorzeichen, schließt daraus die Wall Street. Ein langes Gespräch deutet auf die ernsthafte Absicht hin, einen Kompromiss zu erreichen.
    Später erfuhr die Öffentlichkeit den wahren Grund der langen Gespräche: Man hatte lediglich Schwierigkeiten gehabt, den Text ins Arabische zu übersetzen.
     
    Als US-Außenminister James A. Baker vor die Presse trat, begann er seine Erklärung mit dem Wort »regrettably«. Allein dieses erste Wort veranlasste die gespannt zuhörenden Börsianer, sofort zu verkaufen. Ohne den Inhalt der Erklärung abzuwarten, schickten sie den Dow Jones in den Keller. Binnen weniger Augenblicke stürzte er um 54 Punkte ab.
    Auch in Frankfurt gab es jetzt keinen mehr, der an einer militärischen |78| Lösung des Konflikts zweifelte, zumal Saddam Hussein nochmals einen bedingungslosen Abzug aus dem eroberten Kuwait strikt ablehnte. An den Mauern in Frankfurt mehrten sich die Schmierereien, die die USA als Kriegstreiber verurteilten, und in einigen Zeitungen sprach man vom drohenden Golfkrieg nach Ablauf des Ultimatums, als ob der irakische Überfall auf Kuwait nie stattgefunden hätte.
    Losgelöst von dieser ideologisch belasteten Diskussion, traf ich an der Börse auf eine steigende Zahl von Analysten, die sich von der allgemeinen Stimmung im Lande nicht mehr sonderlich beeindruckt zeigten. Offensichtlich trug der DAX inzwischen Schwielen auf seiner Seele, denn in den letzten Wochen hatte er sich erstaunlich immun gezeigt gegen die Lockungen und Drohungen des Saddam Hussein, und selbst militärische Aktionen der Sowjetarmee in Litauen hatten ihn nicht mehr unter seinen Tiefststand von 1 320 Punkten gedrückt, auf den er am 28. September 1990 gefallen war. All die Ängste und die Furcht vor einer militärischen Eskalation in der Golfregion waren offenbar in den Kursen enthalten. Dagegen hatten die Anleger die Chancen, die sich der deutschen Konjunktur im Osten Deutschlands boten, noch nicht gebührend gewürdigt. Ein entsprechender Nachholbedarf war also nicht zu übersehen.
    An normalen Börsentagen hätten sich in dieser Situation wahrscheinlich die ersten ausländischen Anleger in Deutschland auf Schnäppchenjagd begeben und damit den zaudernden Deutschen das Signal für den Einstieg gegeben. Aber diesmal ließen sich auch die amerikanischen Kunden auf dem Börsenparkett nicht sehen. Kein Schiff aus Amerika wollte anlegen. Mit diesem Bild beschreiben die Börsianer die Kaufaufträge, die zwischen 12:45 Uhr und 13 Uhr direkt aus den USA mit dem täglichen Beginn der dortigen Finanzgeschäfte bei uns in Frankfurt eintreffen. Gründe für diese Zurückhaltung waren natürlich die bekannten politischen Unruheherde am Golf und in der Sowjetunion. Doch selbst die risikofreudigen Anleger, die jede bevorstehende Trendwende rechtzeitig wittern und zum Einstieg nutzen, ließen diesmal auf sich warten. In den Gesprächen mit Anlageberatern großer institutioneller Kunden aus dem Ausland wurde ich in diesen ersten Januartagen immer wieder auf die Demonstrationen in Deutschland angesprochen. Zu Tausenden |79| zogen damals Lehrer und ihre Schüler auf die Straße und bezichtigten die Amerikaner der Kriegstreiberei. Auf zahllosen weißen Tüchern in den Fenstern forderten Demonstranten »Kein Krieg am Golf«, »Kein Krieg ums Öl«.
    Im August 1990, als der irakische Diktator Saddam Hussein diesen Krieg durch den Überfall auf Kuwait begonnen hatte,

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