Greife nie in ein fallendes Messer
steigenden Verschuldung der öffentlichen Hände vor einer restriktiven Zinspolitik der Bundesbank gewarnt hatten, schwenken um ins andere Lager. Eine Erhöhung der Zinsen werde es auf der heutigen Sitzung des Zentralbankrates wohl kaum geben. Ein möglicher Lohnkostendruck durch die Wiedervereinigung, das angekündigte Sparprogramm der Bundesregierung und die dramatisch sinkenden Energiekosten weltweit könnten auf lange Sicht die Preissteigerungsraten auf ein erträgliches Maß zurückschrauben, sodass das fundamentale Umfeld der deutschen Börse sich spätestens im Herbst aufhellen müsste.
Im Nachhinein erwies sich diese Prognose als zu optimistisch. Hohe Lohnsteigerungen und die wachsende Verschuldung des Staates veranlassten Monate später die Bundesbank, schärfer und länger als erwartet die Zügel anzuziehen. Erst vier Jahre später sah sie sich in der Lage, diese restriktive Zinspolitik wieder aufzugeben.
Davon ahnten wir natürlich an jenem 17. Januar 1991 nichts. Wohl jeder Anleger hatte in den Morgenstunden die Nachrichten von dem erfolgreichen Beginn der Aktion »Wüstensturm« gehört und über seine Strategie nachgedacht. Und die meisten erinnerten sich jetzt offenbar auf einmal wieder an die alte Börsianerweisheit: »Kaufen, wenn die Kanonen donnern!« Monatelang hatte man aus Angst vor einem möglichen Inferno in der Golfregion und wegen wachsender Zweifel über die finanziellen Auswirkungen der Wiedervereinigung sein Pulver trocken gehalten und nichts getan. Jetzt erwiesen sich all diese Sorgen, zumindest die Furcht vor einem Flächenbrand in Nahost, als übertrieben. Die Konsequenz aus diesen Überlegungen konnte also nur heißen: Kaufen, kaufen!
Die Japaner, neun Stunden vor unserer Zeit, konnten als Erste reagieren. Und sie hatten bei ihrer Abhängigkeit vom arabischen Öl wahrlich Grund genug, erleichtert aufzuatmen. Der Nikkei-Index |82| stieg um mehr als 4 Prozent. Schon Stunden vor Beginn der deutschen Börse wurden die Wertpapierhändler der Kreditinstitute und die Makler mit Kaufaufträgen überschüttet. Vom großen institutionellen bis zum Kleinanleger, jetzt wollten alle dabei sein. Die Autowerte, wie VW oder Daimler, zogen um 41 beziehungsweise 45,50 D-Mark an, bei der Metallgesellschaft sprang der Kurs mit Doppelplusankündigung um 13 Prozent auf 428,50 D-Mark. Anlage- und Bauwerte, so die nachgereichten Überlegungen meiner Gesprächspartner in der späteren Sendung, würden besonders von einem Ende des Golfkonflikts profitieren. Generell müsste es einen Auftrieb für die Weltwirtschaft geben, in Kuwait natürlich an erster Stelle. Ob allerdings ein großer Brocken dieser Aufträge an deutsche Firmen fallen würde, das wurde auf dem Parkett von dem einen oder anderen Händler bezweifelt. Zu deutlich hatten sich die Deutschen in diesem Konflikt zurückgehalten. All diese Argumente erschienen mir wie alte Hüte, aber jetzt trafen sie auf eine freundliche Stimmung, jetzt lösten sie Käufe aus – die Käufe, auf die ich zuvor vergeblich gewartet hatte.
Noch am ersten Tag der Aktion »Wüstensturm« diskutierte der neue Bundestag unter dem wiedergewählten Bundeskanzler Helmut Kohl die Notwendigkeit des militärischen Gegenschlags unter der Führung der Amerikaner. Zu Recht lastete der Bundeskanzler Saddam Hussein die alleinige Verantwortung für diesen Krieg an. Aber vor allem aus der SPD kamen Stimmen, die diese Militäraktion bedauerten: Man habe der Diplomatie keine Chance gegeben, und wenn man nur lange genug gewartet hätte, wären die Handelssanktionen gegen den Irak vielleicht doch noch erfolgreich gewesen. Bündnis 90/Die Grünen und die PDS verurteilten diesen Krieg strikt mit den Worten, er sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Im August 1990, als Saddam Hussein mit seinen Truppen den Nachbarn Kuwait überfallen hatte, hatten wir uns an der Börse auf derartige Kommentare eingestellt. Jetzt stießen sie ins Leere. Mit dem Gegenschlag der alliierten Truppen ging dieser Krieg, offensichtlich schneller als erwartet, seinem Ende entgegen. Deswegen stieg der DAX um fast 8 Prozent auf 1 422 Punkte. Eine große deutsche Tageszeitung wunderte sich tags darauf über den Jubel an der Börse, |83| angesichts fallender Bomben am Golf. Eine erstaunliche Verkennung, vielleicht auch Verdrehung der wirklichen Stimmung an der Börse. Das war keine euphorische Jubelhausse, das war keine schnöde Gleichgültigkeit oder Gedankenlosigkeit im Angesicht zahlloser getöteter
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