Greife nie in ein fallendes Messer
zukünftige Umsatzentwicklung hätten gewertet werden können, kam zumindest mir nicht in den Sinn. Ich hatte mich mit erfreulichen Gewinnen von der SAP-Aktie verabschiedet.
Das erste Quartal 1993 gab allen Skeptikern Recht. Und zum zweiten Mal wurde die konservative Haltung der SAP-Unternehmensführung den Aktienkursen zum Verhängnis. Hatte SAP-Chef Hopp im Herbst 1992 mit seiner Warnung vor einem übertriebenen Optimismus an der Börse die Kurse in den Keller getrieben, so schickte er sich Ende Juni 1993 an, sie vollends zu ertränken. In aller Offenheit stellte er fest, es habe im ersten Quartal 1993 zwar ein Umsatzplus von 15 Prozent gegeben, diese Entwicklung sei aber zu dürftig. Die Börse sah in dieser Warnung die Vorboten des Unheils für die SAP-Aktien. Der einstige Liebling wurde erbarmungslos abgestraft.
Im Grunde hatten wir es doch alle geahnt: Nur ein Produkt in der Pipeline, das konnte doch nicht gutgehen! Großkunden würden sich in der Software nur ungern von einem einzigen Produzenten abhängig machen! Und am Horizont tauchte in Gestalt des Unternehmens Oracle bereits ein Konkurrent auf! Mit einem Kurs von unter 1 000 D-Mark waren die Vorzüge von SAP noch gut bedient!
Jeden Tag konnte man auf dem Frankfurter Parkett diese oder ähnliche Meinungen hören. Selbst eindeutige Kaufempfehlungen der Banken oder nach oben korrigierte Gewinnschätzungen für das Jahr 1994, nichts konnte mich in meiner negativen Meinung über die |172| SAP-Aktien verunsichern. Kein Wunder, denn wie viele andere hatte ich ja SAP längst aus meinem Depot entfernt.
Es kam, wie es kommen musste. Ende 1993 verdichteten sich auf dem Parkett die Gerüchte, das Jahr 1993 laufe längst nicht so schlecht, wie von SAP selbst noch zu Jahresbeginn vermutet worden war. Das zweite Halbjahr werde vermutlich alle überraschen, ganz besonders das letzte Quartal. Die Bestätigung kam in den ersten Februartagen 1994. Im abgelaufenen Jahr war der Umsatz im Konzern um 32 Prozent gestiegen, das Ergebnis um sagenhafte 48,5 Prozent auf 257 Millionen D-Mark. Diese Zahlen katapultierten die Kurse der Stammaktien an einem Tag um fast 500 hoch auf 2 450 D-Mark, die Vorzüge legten um mehr als 400 auf 2 150 D-Mark zu, stießen dann allerdings bei 2 600 D-Mark oben an (vgl. Abbildung 6). Mit anderen Worten: Seit ihrer Talfahrt vor einem Jahr hatten sich die Kurse verdoppelt. Ein Plus von 100 Prozent in zwölf Monaten!
Strahlende SAP-Gewinner traf ich auf dem Parkett kaum, wohl aber anlässlich meiner Vortragsveranstaltungen, wo man mich immer wieder zu meinem richtigen Näschen in Sachen SAP beglückwünschte und auf die eigenen SAP-Bestände verwies, die man entsprechend meiner Ratschläge als langfristiges Investment seit 1990 im Depot liegen habe.
Die mitleidigen Blicke nach dem Eingeständnis meiner persönlichen Fehleinschätzungen mögen mit dazu beigetragen haben, dass ich im Sommer 1994 zum zweiten Mal mein Glück mit der SAP-Aktie versuchte. Inzwischen waren die Kurse der Aktien nach der Bekanntgabe einer Kapitalberichtigung eins zu vier im wahrsten Sinne des Wortes explodiert. Zur Hauptversammlung am 22. Juni kosteten die Stammaktien 3 315 D-Mark, die Vorzüge lagen bei 3 020 D-Mark. Der Weg über einen lang laufenden SAP-Call am Terminmarkt ermöglichte einen Einstieg, der meine Liquidität nur in einem erträglichen Umfang belastete. Risiken waren weit und breit nicht zu sehen. Auf diesem Kursniveau hatte das kleine Software-Unternehmen aus Walldorf an der Börse inzwischen einen Wert von fast 7 Milliarden D-Mark erreicht. Es war damit die Nummer 20 unter den deutschen Werten mit der höchsten Börsenkapitalisierung. |173| Vor allem die ausländischen Analysten hatten das deutsche Software-Unternehmen in ihr Herz geschlossen. Jeden Tag gab es neue Kaufempfehlungen und neue Gewinnschätzungen. Den Vogel schossen im Sommer 1994 die Analysten von Goldman Sachs ab: Sie erwarteten für das Jahr 1994 einen Gewinn von 110 D-Mark pro Aktie, 1995 könnten es sogar 188 D-Mark werden. Die Empfehlungen amerikanischer Brokerhäuser fielen gerade in den USA zunehmend auf fruchtbaren Boden. 1993 waren 48 Prozent der SAP-Vorzugsaktien in ausländische, überwiegend amerikanische Depots gewandert, ein Jahr später waren es sogar schon mehr als 50 Prozent. Auch als Absatzmarkt für die SAP-Software gewann der amerikanische Markt zunehmend an Bedeutung. Wenn man dort Fuß gefasst habe, so die Überlegungen der Walldorfer, würden die großen
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