Greife nie in ein fallendes Messer
Quartal mit seinen Zahlen auf das ganze Jahr fortzuschreiben, es werde im Laufe des Jahres mit Sicherheit zu einer Abschwächung kommen. Der Kurs der SAP-Aktien aber war nicht zu stoppen. Zusätzlicher |178| Rückenwind kam nicht ganz unerwartet aus einer anderen Richtung: Ab August 1995 werde man die Aktien auf einen 5-Mark-Nennwert umstellen, so der Beschluss der Hauptversammlung, das würde die Aktien optisch verbilligen und damit für die Kleinanleger interessanter machen. Und ab September werde die SAP-Vorzugsaktie in den großen DAX aufgenommen, beschloss der Vorstand der Deutsche Börse AG, einem entsprechenden Vorschlag des Arbeitskreises Aktienindizes folgend. Mit einer Börsenkapitalisierung von 17 Milliarden D-Mark war der Aufstieg in die Erste Bundesliga der deutschen Börsen eine Selbstverständlichkeit, die wir im Grunde schon lange erwartet hatten. Die Stammaktien schossen auf über 2 000 D-Mark, die Vorzüge blieben nur knapp darunter, ihr Abstand zu den Stammaktien verringerte sich zusehends.
Die Aussichten, ab September in den DAX aufgenommen zu werden, hätten im Grunde die Kurse der Vorzugsaktien von SAP bereits im August viel stärker beflügeln müssen. Denn mit der Aufnahme in diesen erlauchten Kreis der 30 wichtigsten deutschen Standardtitel gerieten die Vorzugsaktien automatisch auf die Einkaufsliste derjenigen Aktienfonds, deren Anlagestrategie lediglich darin besteht, in ihrem Portfolio den DAX naturgetreu abzubilden. Wegen der hohen Börsenkapitalisierung der SAP mit 20 Milliarden D-Mark war es abzusehen, dass die Vorzüge von SAP im großen DAX und damit auch bei den Fondsmanagern einen erheblichen Stellenwert einnehmen würden. Immerhin gehörte, gemessen an der Börsenkapitalisierung, die SAP AG zu den zehn größten deutschen Unternehmen an der Börse. Starke Käufe der Fonds nach dem September-Termin waren also abzusehen. Entsprechende Vorkäufe der Anleger bestimmten für Tage den Markt.
Doch was so schön als Jubelparty an der Börse begonnen hatte, endete ganz plötzlich mit schrillen Misstönen. Immer mehr Analysten warnten vor Kursübertreibungen bei SAP, setzten die Ergebnisprognosen hinunter und verwiesen konsequent auf ein viel zu hohes KGV von 42 auf der Basis der geschätzten Gewinne von 1996. In der Telebörse unterstrichen meine Gesprächspartner die schlechten Aussichten für das dritte Quartal 1995, der Einstieg in den südamerikanischen |179| und chinesischen Markt würde die Gewinn-und-Verlust-Rechnung erheblich belasten, und das USA-Geschäft mache wegen des schwachen US-Dollar wenig Freude. Die Empfehlungen, die SAP zu verkaufen, häuften sich. Ich fühlte mich in meiner vorausgegangenen Ausstiegsentscheidung im Nachhinein bestätigt, obwohl ich einen großen Teil der jüngsten Kursgewinne leider verpasst hatte.
Das Jahr 1995 bescherte schließlich dem Unternehmen ein glänzendes Gewinnplus von über 40 Prozent, aber für die hochgespannten Hoffnungen der Analysten war es zu wenig. SAP-Chef Hopp hatte zwar im Dezember in Zeitungsinterviews den tatsächlichen Gewinn von 4 D-Mark pro Aktie exakt vorhergesagt, doch hatten wir an der Börse ihm nicht geglaubt, weil wir ihn längst als Tiefstapler eingeordnet hatten. Als sich dann aber seine früheren Warnungen bestätigten, reagierten die Anleger vergrätzt, die Vorzugsaktie, inzwischen wie die Stammaktie auch eine 5-Mark-Nennwert-Aktie, fiel um fast 10 auf 217,50 D-Mark.
Zu Beginn des Jahres 1996 häuften sich die Prognosen der nationalen und internationalen Analysten, und mit jedem Gespräch in der Telebörse wurden die Gesichter länger. Das einstige Wunderkind der deutschen Wirtschaft entpuppte sich offenbar als stinknormales Gör. Nicht ohne Charme, aber keine Spur mehr von den außergewöhnlichen Wachstumsraten, die die Kursexplosionen in der Vergangenheit gerechtfertigt hatten.
In diese angesäuerte Stimmung auf dem Börsenparkett platzte Mitte April eine Agenturmeldung, die den einst gefeierten Börsenliebling SAP in den Keller prügelte. Der Finanzanalyst Bob Cameron von der amerikanischen Beratungsgesellschaft Forrester Research aus Cambridge/Massachusetts hatte von Schwierigkeiten gehört, die anscheinend beim Umstieg vom SAP-Verkaufsschlager R/3 auf eine neue Generation R/4 entstehen würden. Da dieses Nachfolgemodell R/4 nicht kompatibel sei mit der aktuellen Standardsoftware R/3, gäbe es bei den SAP-Kunden in nächster Zukunft erhebliche Probleme. SAP werde mit dem Programm R/3 in der Umsatzkurve
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