Greife nie in ein fallendes Messer
negativen Folgen für die grundsätzliche Idee der Aktienanlage hatte sich wohl keiner ausgemalt. Nach dem Zusammenbruch des Neuen Marktes war es vielen jungen Unternehmen auf lange Zeit kaum noch möglich, über die Börse das nötige Eigenkapital für Investitionen zu bekommen, und Heerscharen enttäuschter Kleinanleger mieden fortan die Aktie wie der Teufel das Weihwasser. Von diesem Aderlass hat sich die Aktienanlage in Deutschland bis heute nicht erholt.
Dabei hatten die Väter dieses neuen Börsensegments geglaubt, genügend Sicherheitsvorkehrungen getroffen zu haben, um ein Scheitern ihrer Idee zu verhindern. Wer als Unternehmer auf dem Neuen Markt mitspielen wollte, hatte bestimmte Spielregeln zu beachten: |191| So musste beispielsweise das Emissionsvolumen für den Börsengang mindestens 10 Millionen D-Mark betragen, weil sonst, selbst für den kleinen Neuen Markt, das handelbare Volumen zu gering gewesen wäre. Eine sogenannte Betreuerbank sorgte dafür, dass für mindestens 500 Aktien bei einem Nennwert von 5 D-Mark Kauf- und Verkaufskurse gestellt wurden, mit einer maximalen Spanne von 5 Prozent. Hierdurch sollte eine bestimmte Mindestliquidität garantiert werden. Die Altaktionäre, also zum Beispiel die Inhaber des Unternehmens – offensichtlich nicht aber deren Geschäftsfreunde und Bekannten –, waren verpflichtet, nach dem Börsengang mindestens sechs Monate lang ihre Aktien zu halten. Man wollte verhindern, dass die Unternehmer unmittelbar nach dem Börsengang Kasse machten und damit unter Umständen einen starken Druck auf den Börsenkurs ausübten. Über Jahresabschlüsse, Quartalsberichte und durch jährliche Analystengespräche musste der Anleger regelmäßig und ausführlich über die Entwicklung des Unternehmens unterrichtet werden. Das kostete in den Jahren nach der Emission fortlaufend viel Geld, wurde aber in der Euphorie des Börsenganges hin und wieder verdrängt.
Vor allem aber sollten nur innovative, wachstumsstarke Unternehmen an den Neuen Markt kommen. Das zielte zweifellos nicht zwangsläufig nur auf Unternehmen aus den Bereichen Hightech und Kommunikation, wie es aus dem Kreis der Marktbeobachter vereinzelt gefordert wurde. Doch ob tatsächlich alle Unternehmen, die sich über den Neuen Markt um das Kapital der Anleger bewarben, wirklich mit neuen Produktideen und herausragenden künftigen Wachstumschancen aufwarteten, bezweifelte ich. Mancher Altaktionär würde mit leuchtenden Augen auf das Kurspotenzial am Neuen Markt für seine Aktien schauen oder an den Publizitätsrummel denken, der mit dem Börsengang an den Neuen Markt verbunden war. Für die Hunzinger Information AG konnte Letzteres durchaus ein wichtiges Motiv gewesen sein.
Aber mit der wachsenden Zahl der Emissionen an diesem Markt ließen allmählich auch die Exklusivität und Attraktivität nach. Nicht mehr jeder Emissionspreis wurde, wie zu Beginn des Neuen Marktes noch gang und gäbe, am ersten Handelstag fast zwangsläufig deutlich |192| übertroffen. Hin und wieder gab es deswegen nach der Bekanntgabe des ersten Kurses wahrscheinlich auch betrübte Gesichter bei den Emissionszeichnern. Das musste, aus meiner Sicht, nicht unbedingt als Nachteil für dieses Börsensegment interpretiert werden, nahm es doch zumindest die Gier nach schnellen Kursgewinnen aus der Börse.
Der Anleger sollte sich stets darüber im Klaren sein, dass kleine, wachstumsstarke Unternehmen zwar für dynamische Entwicklungen stehen, dass dies aber keine Garantie für künftige Gewinnexplosionen ist. Zum anderen sollte jeder Anleger begreifen, dass ein Unternehmen mit einem eher geringen Eigenkapital auch nur über wenig handelbare Aktien verfügen kann. Wenn dann auch noch, wie es offenbar am Neuen Markt üblich war, von den emittierten Aktien ein mehr oder weniger großer Anteil an Geschäftsinhaber und ihre Familien und Geschäftsfreunde geht, verringert das die Zahl der im Streubesitz befindlichen Stücke zusätzlich. Für den Handel über den Freiverkehrsmakler hinter der Schranke bleibt somit nicht mehr viel übrig. Die logische Konsequenz am Neuen Markt waren hin und wieder unerwartete Kursschwankungen, die auch durch die Betreuerbanken nicht verhindert werden konnten. Mit 500 Aktien im Verkaufsangebot überspringt der Kurs schnell jede vernünftige Grenze, wenn auf einen Schlag 1 000 oder 2 000 Anleger in die betreffende Aktie einsteigen wollen. Umgekehrt kann es schon schwierig werden, 50 oder 100 Aktien zum aktuellen Kurs zu
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