Greife nie in ein fallendes Messer
der deutschen Börse bei einem deprimierenden Kurs von nur noch wenig mehr als 10 Euro, aus heutiger Sicht zurückgerechnet. Denn am 21. Dezember 2006 erhielt jeder SAP-Aktionär im Zuge einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln pro Stammaktie drei Aktien hinzu, so genannte Gratisaktien. Somit lag der Tiefstkurs im Spätherbst 2002 de facto um 30 Euro höher, das heißt bei 40 Euro. Da nach meiner Auffassung damals zwischen den hoffnungslos überschätzten Werten der New Economy und der soliden SAP-Aktie Welten lagen, wagte ich bereits Anfang 2002 den Wiedereinstieg, musste also noch einige frustierende Jahre überstehen, ehe die negativen Vorzeichen in meinem SAP-Bestand verschwanden.
Endgültig habe ich mich dann im Frühjahr 2007 von meinen SAP-Aktien verabschiedet – ungefähr auf der Höhe meines letzten Einstiegskurses. Nicht gerade ein Happy End meiner jahrelangen wechselvollen Beziehung zu diesem Unternehmen. Wie heißt es so ironisch? »Das höchste Glück erreicht ein Aktionär, wenn er seinen Einstandskurs wieder sieht!« Ein schwacher Trost. Aber immerhin!
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Gerd Meissner: SAP – die heimliche Software-Macht. Wie ein mittelständisches Unternehmen den Weltmarkt eroberte . Hamburg 1997, S. 151.
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Kapitel 9: Haussen sterben in der Euphorie. Die Gier am Neuen Markt
Geahnt hatte ich es schon am Abend zuvor, als der Analyst der Westdeutschen Landesbank, Martin Sowa, in der Telebörse den Wert EM.TV zum Kauf empfahl. Kursziel auf mittlere Sicht, also für das nächste Vierteljahr, 1 100 D-Mark. Bei einem aktuellen Kurs von 585 D-Mark sage und schreibe eine knappe Verdoppelung des Kurses. Und das Mitte November 1998, in einer Zeit, in der die ersten Mutigen, wenn auch nur mit ganz langen Zähnen, die großen Standardtitel der deutschen Börse wieder auf die Kauflisten setzten. Der DAX würde es in den nächsten Monaten schwer haben, die Witterung für seine Rekordmarke von rund 6 200 wieder aufzunehmen, die er seit Juli verloren hatte. Weltweit werde die Konjunktur einen Gang oder vielleicht auch zwei zurückschalten müssen; zu viele Steine hätten die Staaten im Fernen Osten den Amerikanern und Europäern in den Weg gerollt. »Ehe die Straßen wieder ungehindert passierbar sind, wird noch ein längere Zeit vergehen«, unkten die Bedenkenträger.
Doch EM.TV muss sich im November offenbar darüber keine Gedanken machen. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von rund 100, bezogen auf die für 1999 geschätzten Gewinne von 5 bis 6 D-Mark pro Aktie, gehört dieses Wertpapier im Spätherbst 1998 zu den absoluten Überfliegern am Neuen Markt. Am 30. Oktober 1997 mit einem Emissionspreis von 34 D-Mark gestartet, hat sich der Münchner Fernsehproduzent und Händler von Film- und Fernsehrechten aus dem Stand in galaktische Höhen katapultiert. Längst hat das Unternehmen die deutschen Umsatzgrenzen hinter sich gelassen. Von den Niederlanden oder von Frankreich und Spanien aus werden die Lizenzen von Sport- oder Unterhaltungssendungen gehandelt und |188| vermarktet. Jetzt soll der asiatische Raum erobert werden. Ein Vertrag mit China ist offenbar in trockenen Tüchern.
Ein Unternehmen, wie geschaffen für den dynamischen Neuen Markt. Einmal ins Laufen gekommen, hat der Kurs jede Hürde übersprungen. Selbst ein Aktiensplitt im Verhältnis 1:1 konnte den Sturm und Drang nicht bremsen. In den ersten neun Monaten des Jahres 1998 hat sich der Umsatz auf über 45 Millionen D-Mark verdreifacht, Analysten setzen im letzten Quartal noch einmal auf einen gehörigen Schub, sodass am Ende des Jahres Erlöse von 70 Millionen D-Mark in der Kasse klingeln könnten. Der Platow-Brief erwartet für 1999 über 180 Millionen D-Mark Umsatz, und für das Jahr 2000 sollen es gar 300 Millionen sein. Jährlich müsse dabei wohl ein Gewinn von 20 D-Mark je Aktie übrig bleiben. Auch ein steigender Kapitalbedarf für mögliche Firmenzukäufe wird die Champagnerlaune nicht stören können.
Über EM.TV wölbt sich offenbar nur noch der unendliche, grenzenlose Himmel. Ein Kursziel von 900 D-Mark sieht der Platow-Brief ganz locker in greifbarer Nähe, und die Westdeutsche Landesbank geht in der Telebörse mit ihrer 1 100-Mark-Schätzung nur unwesentlich weiter. Wer bietet mehr?
Am Tag nach der Sendung nimmt die EM.TV-Aktie wieder Fahrt auf, der Kurs steigt um 41 D-Mark auf 626 D-Mark. Das Unternehmen hat die Übertragungsrechte für die kommenden fünf Kämpfe des Schwergewichtsboxers Mike Tyson, den schlimmen
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