Greife nie in ein fallendes Messer
verkaufen, wenn partout kein Kaufinteresse vorhanden ist.
Die Anforderungen des Neuen Marktes an die Emittenten und die Anleger waren mithin von Anfang an deutlich definiert. Dennoch lief schon in der Anfangsphase des Neuen Marktes vieles aus dem Ruder. Die täglichen Schlagzeilen in der Presse spiegelten ein einziges Chaos am Neuen Markt. »Risikomarkt«, »Zockerbörse«, »Der Markt für die schnelle Mark«, »Millionäre am Fließband«, »Lizenz zum Gelddrucken«. Für mich war das alles ein Albtraum.
Jahrelang hatte ich als Moderator der Telebörse versucht, die Abläufe am Aktien- und Rentenmarkt mit wirtschaftlicher Vernunft zu erklären, um den deutschen Kleinanlegern die Angst vor der Geldanlage in Aktien zu nehmen. Aus meiner damaligen Sicht nicht |193| ohne Erfolg. Zwar nutzten immer noch viel zu wenige Bundesbürger die Aktie als Instrument einer langfristigen Vermögensbildung, doch ganz allmählich hatten sich die ersten zarten Pflänzchen einer Aktienkultur in Deutschland gebildet. Der Börsengang der Telekom-Aktie mit dem grandiosen Schauspieler Manfred Krug als Zugpferd mag dabei geholfen haben, vielleicht auch die regelmäßigen Sendungen der Telebörse auf n-tv und ganz bestimmt die beachtlichen Kursgewinne der zurückliegenden Jahre. Es tat sich also etwas am deutschen Aktienmarkt.
Aber was sich seit dem 10. März 1997 am Neuen Markt tat, war mir von Anfang an unverständlich und machte mir Angst. Mit dem Erscheinen dieses Börsensegmentes wuchsen meine Zweifel am Sinn meiner Börsenberichterstattung. Die Kleinanleger stürzten sich offenbar wie die Lemminge auf die Werte am Neuen Markt. Den schnellen Gewinn vor den aufgerissenen Augen, sprangen sie ohne Rettungsring, also ohne Kauflimit für die jeweilige Neuemission, ins unbekannte Wasser. Tätigkeitsfelder, Umsatz- oder Gewinnerwartungen des Unternehmens, Anlaufkosten und Verbindlichkeiten, Eigenkapital und Fremdkapital, die Konjunktur innerhalb der Branche, die Stärken und Schwächen der Konkurrenten, alles das war vielen offensichtlich Jacke wie Hose. Allein die Triumphmeldungen in den Massenmedien über eine ungewöhnlich starke Zeichnung einer Neuemission, natürlich am oberen Ende der im sogenannten Bookbuilding-Verfahren angepeilten Preisspanne, ließen die privaten Kleinanleger schon aus den Schuhen springen. Je deutlicher eine Emission überzeichnet war, desto hektischer wurden die Kaufaufträge zum ersten Kurs platziert, desto euphorischer stürzten sich die Anleger auf den Neuling am Neuen Markt.
Dabei sagt eine Überzeichnung im Grunde nichts aus über den fairen Aktienkurs, also über den fundamental erklärbaren Preis einer Neuemission. Sie ist lediglich der erste Hinweis dafür, dass die Nachfrage angesichts der generell geringen Zahl von verfügbaren Aktien das Angebot der jeweiligen Neuemission wahrscheinlich deutlich übersteigen wird. Eine Vermutung, die sich in den Folgemonaten am Neuen Markt dramatisch bestätigen sollte.
In den meisten Fällen waren die Neuemissionen in dieser Zeit |194| mehrfach überzeichnet. Ohne einen Unterschied zu machen zwischen kleinen und großen Kauforders, flüchteten sich die Emissionshäuser bei der Zuteilung in das objektiv gerechte Losverfahren. Zweifel an der korrekten Abwicklung dieser Art der Zuteilung von Neuemissionen wurden immer wieder hinter vorgehaltener Hand geäußert. Offenbar hatten einige Anleger, die über eine gewisse Nähe zum Emittenten oder zu den für die Emission zuständigen Banken verfügten, ein besonderes Losglück. Wer dennoch als »normaler« Kleinanleger zu den glücklichen Gewinnern zählte, erhielt gleichwohl häufig nur einen Bruchteil der gewünschten Aktienanzahl. Konsequent zeichneten daraufhin die Anleger höhere Mengen als ursprünglich beabsichtigt, in der Erwartung, wenn überhaupt, dann doch nur einen Bruchteil der gezeichneten Aktien zu bekommen. Sollte es dennoch zu einer höheren Zuteilung kommen, konnte man ja immer noch die überzähligen Aktien zum ersten Kurs verkaufen. Ein vermeintlich risikoloses Geschäft, da der erste Kurs bei einer starken Überzeichnung mit Sicherheit deutlich über dem Emissionspreis liegen würde.
Das war vor allem in den letzten Monaten des Jahres 1998 ein gefährlicher Fehlschluss, wie der Hoppenstedt-Verlag in einer Aufstellung der Emissionen am Neuen Markt nachwies. In der Startphase des Neuen Marktes aber lagen die privaten Anleger mit dieser Strategie richtig, mit der Folge, dass wegen der zunehmenden
Weitere Kostenlose Bücher