Greife nie in ein fallendes Messer
Blindbuchungen die Überzeichnungen bei den folgenden Emissionen noch schneller stiegen, angetrieben von der Berichterstattung in den Medien, die die Überzeichnungen wie sportliche Rekorde feierten. Je höher die Blindbuchungen stiegen, desto geringer wurde die Chance, bei der Zuteilung dabei zu sein. Der Ärger der Anleger, die bei der Zuteilung leer ausgingen, wuchs. Keine realistische Chance hatte der Anleger, der bei einem Kreditinstitut zeichnete, das nicht im Emissionskonsortium saß. Eine missliche Entwicklung, die den Vorstand der Gold-Zack AG, Dietrich Walter, auf eine clevere Idee brachte, die als APN-Methode sehr schnell Furore machte.
APN steht für »Aktie plus Neuemission«. Wer also Aktien der Gold-Zack AG kaufte, erhielt damit gleichzeitig das Recht, bei all den Neuemissionen berücksichtigt zu werden, die über die Frankfurter |195| Gontard-Bank, eine Beteiligung der Gold-Zack AG, liefen. Dieser Schachzug trieb die Gold-Zack-Aktie im Sommer 1998 bis auf über 400 D-Mark, bevor sie dann im Zuge der deutlichen Konsolidierung am Neuen Markt zeitweise auf unter 110 D-Mark abstürzte. Nicht ganz unlogisch: Warum sollte man auch unter diesem Gesichtspunkt auf Gold-Zack-Aktien setzen, wenn Neuemissionen der Gontard-Bank angesichts der Aktienkrise kaum noch anstanden oder schnelle Kursgewinne mangels Interesse gar nicht erst anfielen?
Trotz der schlechten Erfahrungen mit dem Bookbuilding-System wählten, erst recht am Neuen Markt, viele Unternehmen bei ihrem Börsengang diese Art der Preisfindung. Bei diesem System entscheiden sich Kaufinteressenten für einen Preis innerhalb einer bestimmten Preisspanne, die von den Kreditinstituten, die den Börsengang des jeweiligen Unternehmens organisieren, festgelegt worden ist. Die Anleger lassen sich während einer vorgegebenen Frist mit ihrem konkreten Kaufangebot über die gewünschte Aktienmenge zu einem bestimmten Preis registrieren und ermöglichen somit dem Unternehmen, das neu an die Börse gehen will, einen Überblick über die Herkunft und die Qualität der möglichen Aktionäre. Also schon vor dem Börsengang kann sich der Börsenaspirant grundsätzlich ein Bild darüber machen, ob sich mehr ausländische oder eher mehr inländische Anleger für das Unternehmen interessieren, ob es sich um überwiegend institutionelle oder private Anleger handelt. Die einzelnen Zeichnungen innerhalb der Preisspanne signalisieren auch die Wertschätzung der Anleger, sodass das Unternehmen erkennen kann, inwieweit die genannte Preisspanne den Vorstellungen der Anleger über den fairen Preis entspricht.
Im Grunde ist gegen dieses Verfahren nichts einzuwenden. Ob es aber auch bei kleinen Emissionen, wie sie am Neuen Markt die Regel waren, angebracht ist, durfte nach den jüngsten Erfahrungen bezweifelt werden.
Das Kaufinteresse der zahlreichen privaten Anleger für Emissionen am Neuen Markt war besonders in der stürmischen Haussephase seit der Gründung dieses Marktsegments im März 1997 bis zum |196| Sommer 1998 so groß, dass die Zeichnungsfrist häufig wegen deutlicher Überzeichnung nachträglich verkürzt werden musste. In schöner Regelmäßigkeit wurde als Emissionspreis der Preis am oberen Ende der Bookbuilding-Spanne bestimmt. Welcher Anleger wollte schon das Risiko eingehen, wegen eines zu niedrigen Preisangebots von vornherein aus dem Kreis der Glücklichen, die bei der Zuteilung zum Zuge kommen, ausgeschlossen zu werden? Folglich verzichteten die meisten Interessenten auf ein Kauflimit und orderten mit dem Zusatz »billigst«. Erst als der Boom in der zweiten Jahreshälfte 1998 abbrach, wurden auch Emissionskurse gewählt, die sich an Preisen unterhalb der festgelegten Preisobergrenze orientierten.
Ich wäre gerne einmal dabei gewesen, wenn der Sprecher des zuständigen Bankenkonsortiums dem Emittenten das überwältigende Ergebnis der Zeichnung präsentierte: »Herzlichen Glückwunsch, mehrfache Überzeichnung, und die meisten Kaufangebote am oberen Bandende oder ohne Begrenzung.« Den Emittenten wird dieses starke Interesse an seinem Unternehmen natürlich gefreut haben, zunächst zumindest. Aber dann wird er sich selber und vielleicht auch die Bank, die die Emission vorbereitet hatte und dafür bis zu 4 Prozent vom Emissionsvolumen kassierte, gefragt haben, ob der Preis an der oberen Bandbreite nicht zu niedrig gewählt worden war. Vielleicht wäre ja doch mehr drin gewesen. In aller Stille mochte sich hier und da Grimm auf die zu vorsichtigen
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