Greife nie in ein fallendes Messer
aus der Kurve geflogen waren. Wochen später begannen Untersuchungen der Staatsanwaltschaft gegen Egbert Prior, den Marktschreier des schnellen Geldes, der es so trefflich verstanden hatte, die menschliche Gier zu füttern. Eigennutz im Umfeld des Tippgebers sei mit im Spiel gewesen, mutmaßte die Staatsanwaltschaft, vor der Fernsehsendung sei bereits gekauft worden, in der Erwartung steigender Kurse aufgrund der späteren Empfehlungen in der 3Sat-Börse . Es würde nicht einfach sein, diese Kausalität und ein Verschulden Egbert Priors nachzuweisen. Hatte er andere vor der Sendung über seine späteren Empfehlungen informiert |203| ? War das überhaupt ein Verstoß gegen die Insiderregeln, die sich eigentlich nur auf Informationen über das Unternehmen, nicht aber auf Empfehlungen Dritter beziehen?
Was auch immer am Ende bei diesen Ermittlungen herauskommen würde, ich sah mich durch den unglaublichen Aufstieg und den jähen Fall der Mobilcom-Aktie in meiner Zurückhaltung gegenüber dem jungen Neuen Markt und in meinen Sorgen bestätigt. Durch ein verantwortungsloses, undifferenziertes Anheizen einer zweifellos vorhandenen Gier in den Gehirnen einiger Anleger könnte das zarte Pflänzchen »Aktienkultur« in Deutschland einen endgültigen Schaden nehmen.
Berichte von der »Zockerbörse Neuer Markt« machten bereits die Runde, zumal die Mobilcom kein Einzelfall blieb. Immer wieder versuchte ich, durch Hinweise auf die systembedingte Marktenge am Neuen Markt auf die Gefahren unlimitierter Kauf- und Verkaufsaufträge aufmerksam zu machen. Mit der Folge, dass nur wenige Tage nach dem Mobilcom-Eklat meine Warnungen in der Telebörse schon wieder auf erbitterte Kommentare einiger Zuschauer stießen, die sich durch meine öffentlichen Äußerungen um ihre sicher geglaubten Kursgewinne geprellt sahen.
Nach einem Vortrag in der Universitätsstadt Münster, meiner Heimatstadt, fand ich mich plötzlich in einem Kreis von Studenten wieder, die mich wegen meiner offenkundigen Abneigung gegenüber den Kursexplosionen am Neuen Markt aufs Heftigste attackierten. Ich hätte die Zeichen der Zeit nicht verstanden, hielt man mir vor, dynamische Unternehmen mit einer großartigen Zukunft seien nicht mit den Maßstäben einer überholten Börsenphilosophie zu messen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis, so wie ich es noch verstünde, sei längst ohne Bedeutung. Entscheidend sei das künftige Wachstum. Unter diesem Gesichtspunkt sei es auch durchaus gerechtfertigt, ohne Kauflimit in einen Wert mit extrem hohem KGV einzusteigen, denn innerhalb kurzer Zeit könne jeder wagemutige Anleger durch schnelles Handeln einen höheren Gewinn einstreichen als über die von mir immer wieder erwähnten langweiligen Standardtitel der deutschen Börse mit einem normalen KGV. Käme es einmal zu unerwartet heftigen Kursverlusten, gehöre dies eben zum Börsengeschäft.
|204| Offensichtlich wurde diese Meinung gerade von vielen jungen Kleinanlegern geteilt, die in den ersten Monaten des Neuen Marktes fast blind die Neuemissionen zeichneten. Einige Marktbeobachter wollten sogar in den Semesterferien einen deutlichen Umsatzeinbruch am Neuen Markt festgestellt haben. Meine nächtlichen Gesprächspartner in Münster hatten zudem für sich eine eigene Strategie entwickelt, um bei den üblichen knappen Zuteilungen der begehrten Neuemissionen ihre Chancen zu optimieren. Man hatte sich zu einer Anlegergruppe zusammengeschlossen, und jedes Mitglied dieser Gruppe hatte bei unterschiedlichen Kreditinstituten, die regelmäßig als Emissionshäuser am Neuen Markt auftraten, Konten eröffnet. Auf diesem Weg konnte man die Wahrscheinlichkeit erhöhen, bei der Zuteilung berücksichtigt zu werden. Die so ergatterten Stücke wurden von der Gruppe bezahlt und in einen gemeinsamen Topf geworfen. Nach schnellem Verkauf wurde der Gewinn nach Köpfen geteilt. An Verluste mochte keiner denken.
Mein Unbehagen über diese Kursrasereien am Neuen Markt wurde von den Börsianern auf dem Parkett geteilt. Selbst die Betreuerbanken, die ja die Aufgabe übernommen hatten, extreme Kursausschläge bei den von ihnen betreuten Aktien zu verhindern, zeigten sich oft ratlos. Wenn eine starke Nachfrage auf einen fast ausgetrockneten Markt traf, bei den engen Werten in diesem Marktsegment eher die Regel als die Ausnahme, war die betreffende, vielleicht sollte man sagen, die betroffene Betreuerbank überfordert. Wollte sie bei einem Run auf die Aktie durch Verkäufe gegenhalten, um hohe
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