Grenzen der Sehnsucht
wird er nämlich Jahr für Jahr von den Schwulen und Lesben wie ein König bejubelt. Beifall aus dem Volk! Nicht gerade ein Genuss, der Politikern häufig vergönnt ist. Bemerkenswert ist das vor allem deswegen, weil sich Ude ansonsten noch kein Bein für die Szene herausgerissen hat. Aber zur Popularität unter Schwulen und Lesben reicht es manchmal, wenn man sie nicht am Feiern hindert, sich ab und zu blicken lässt und ihnen vor allem nicht durch saublöde Bemerkungen an den Karren fährt – wie etwa jener gescheiterte Bürgermeisterkandidat der CSU, der vor nicht allzu langer Zeit gesagt hat, es dürfe nicht sein, dass ein Schwuler im Münchner Rathaus mehr zu sagen habe als 100.000 anständige Bürger. Da hagelte es Proteste. Verunglimpfung! Erst, wenn Diskriminierung so offensichtlich zu Tage tritt, merken die meisten, dass etwas faul im Staate ist, und dann können die Wogen der Empörung für einen kurzen Moment schon mal hochschlagen. Allerdings ist das genauso schnell wieder vergessen.
Politik ist eine Grauzone, bei der so viele irrationale Dinge passieren, die häufig alles andere als angemessen erscheinen. Dankbarkeit darf man nicht erwarten. Niederbühl weiß das: „Man muss sich selbst auf die Schulter klopfen können“, sagt er.
Es muss aber auch ein persönliches Verantwortungsgefühl geben, das einen in der politischen Arena antreibt. Niederbühl behauptet, für ihn sei es sein katholischer Glaube, der ihn gelehrt habe, jeden so anzunehmen, wie er ist. Was daran jedoch besonders katholisch sein soll, mag indes nicht jedem einleuchten.
Wie lässt sich nun gerade sein homopolitisches Engagement erklären? Meist gibt es zu einer Berufung eine Geschichte. Oder auch viele kleine Geschichten. Vielleicht diese hier, die er im Lauf unseres Gesprächs eher beiläufig zum Besten gibt.
Sie erzählt von einem Coming-out. Nicht von seinem eigenen, sondern von dem eines Schulfreundes aus dem Gymnasium, der eine alleinerziehende Mutter hatte. „Die fand das immer super mit dem Schwulsein. Mit meinem, wohl gemerkt. Doch als ihr eigener Sohn damit rausrückte, ist sie völlig ausgerastet.“
Niederbühl verengt die Augen zu einem verständnislosen Blick.
„Das ist die typische Verleugnungsstrategie. Bei den eigenen Kindern sieht es häufig ganz anders aus mit der Toleranz. Es ist schwierig zu wissen, was in den Köpfen der Leute vorgeht.“
Und genau das scheint ihn anzutreiben: die Sorge um die Halbwertzeit von Toleranz, ihre Unberechenbarkeit und die Möglichkeit, dass die gesellschaftliche Stimmung zugunsten von Schwulen und Lesben eines Tages kippen könnte. Dagegen will er mit seinem politischen Engagement Vorsorge treffen. Seit einigen Jahren ist immer häufiger die Rede vom Ende der Diskriminierung, von einer schönen schwulen Welt, in der zumindest männliche Homosexuelle endlich in der Mitte angekommen seien und in der sich die schwule Identität – für viele ohnehin nur ein lästiges Etikett – bald in Luft auflösen werde. Dabei wird das Wunschbild einer zukünftigen Gesellschaft heraufbeschworen, die man nicht einmal aus utopischen Romanen kennt, und in der jede Person, unabhängig vom Geschlecht, jede andere begehren und unbekümmert umwerben kann, ganz so, wie es einem oder einer gerade beliebt. So hübsch das alles klingt: Jemand, der wie Niederbühl so viele Kontakte zu so unterschiedlichen Menschen gepflegt und sich über so viele Jahre an der politischen Realität abgearbeitet hat, empfindet diesen Optimismus als unbeschreiblich naiv, wenn nicht gar als verblendet. Und er fühlt sich von neuesten Forschungsergebnissen bestätigt: „Alle Studien zeigen, dass das Coming-out etwas Schwieriges bleiben wird.“
Auch sein eigenes hat er noch gut im Gedächtnis. Niederbühl sagt über sich selbst, dass er ein „frommes, bigottes Kind“ gewesen sei. Das lässt erahnen, wie er mit seinem Schwulsein gehadert hat. Zum Glück geriet er während seiner Zeit in einer Katholischen Schule an einen progressiven Beichtvater, der sich lange mit ihm unterhielt und Verständnis zeigte. Zu seiner Erleichterung machte er dem Jungen damals klar: In die Beichte gehört das nicht. Trotzdem hat ihm das Thema nie wieder Ruhe gelassen, und vermutlich wird er auch politisch noch eine ganze Weile darin involviert sein. Obwohl er es für möglich hält, dass die Rosa Liste eines Tages überflüssig sein wird. Und zwar genau dann, wenn das Engagement von selbstbewussten Schwulen und Lesben in den anderen Parteien
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