Grenzen der Sehnsucht
zur Selbstverständlichkeit geworden ist.
Bis dahin kann allerdings noch viel Zeit vergehen. Und Homo-Politik wird für ihn deswegen lange nicht von der Agenda verschwinden.
„Schwule und Lesben“, sagt Niederbühl, „machen Politik aus einem anderen Blickwinkel.“
München, die Kunstmetropole:
Mit schwulem Feinsinn gegen die bayrische Grantelei
Das bayrische Gemüt zeichnet sich, wie man als Besucher mitunter erleben darf, durch eine gewisse Hemdsärmeligkeit aus. Zum Beispiel so:
„Himmelherrgottsakrament! Sie depperter Saubeutel, Sie!“
Wer sich in München beim Überqueren der Straße nicht allzu sehr abhetzt und damit einen sich rasch beschleunigenden BMW zum Bremsen nötigt oder ähnliche Verbrechen begeht, dem kann es schon mal passieren, dass ihm aus voller Kehle ein bayrischer Fluch um die Ohren gehauen wird.
Dabei ist das Granteln mehr als nur Ausdruck von spontanem Missmut: Es ist eine zutiefst bayrische Haltung. Ansichten und Emotionen drückt man gerne auf die deftige Art aus. Dieses Phänomen freilich ist dem Feinsinnigen und subtilen, ja, der kulturellen Differenzierung des modernen und hochzivilisierten Großstadtlebens eher entgegengesetzt.
Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel, und die Landeshauptstadt ist, bei allem Brauchtum, das gepflegt wird, dennoch voller Ausnahmen – schon allein deshalb, weil hier eben nicht nur eingefleischte Bayern, sonder eine stattliche Zahl an Zugewanderten lebt. Gerade das macht jedoch das Spannungsfeld in München aus.
Was zum Beispiel die Kunst betrifft, erfreut sich die Bayernmetropole bis weit über die Grenzen Deutschlands hinaus eines ausgezeichneten Rufes, nicht nur als Museumsstadt, sondern auch als Wohnort von Künstlern und Bohemiens.
Auch schwule Künstler leben und arbeiten in München, spiegeln ihre Umwelt aus einem eigenen Blickwinkel wider. Doch was zeichnet eine schwule Wahrnehmung der Welt eigentlich aus? Nackte Jünglinge mit perfekten Körpern vielleicht, die einladend ihre Hände hinter dem Kopf verschränken? Oder draufgängerische Typen mit viel in der Hose?
Das sind jedenfalls die Motive, die man typischerweise dem Fokus des schwulen Blicks zurechnet. Nichts als Klischees freilich, aber diese Bilder sind zum festen Bestandteil der Szene geworden, wohin man auch schaut. Manches davon wird als Kunst deklariert. Als Kunst aus schwuler Sicht.
„Es gibt vieles, was ich als homoerotischen Kitsch bezeichnen würde“, sagt der Künstler Rolant de Beer. Er sagt das in einem ganz sachlichen Ton, ohne dabei abwertend oder arrogant zu klingen. „Ich habe nichts dagegen. Unter Heterosexuellen gibt es das ja auch.“
Seine Sache ist das Pin-up-Painting jedoch nicht. Die Bilder, die hier in der Galerie blue in green zwischen Gärtnerplatz und Sendlinger Tor ausgestellt sind, sehen jedenfalls nicht danach aus. Im Gegenteil: Sie machen den Betrachter zum Objekt.
Holzschnittartige Gesichter starren aus der Leinwand auf den Besucher. Ob sie männlichen oder weiblichen Geschlechts sind, erkennt man auf den ersten Blick nicht. Noch bevor sich die Frage danach überhaupt stellen kann, ja, noch bevor einem auffällt, dass diese Gesichter keinem der gängigen Schönheitsideale entsprechen, ganz gleich, ob Mann oder Frau, fühlt man sich schon im Visier der Porträtierten. Als müsste man sich vor ihren bohrenden Blicken schützen.
„Es sind keine realen Personen“, erklärt de Beer. „Sie sind meine Erfindungen, ein work in progress, bei dem ich vieles immer wieder übermale, bis ich endlich zufrieden bin. Die Gesichter sind für mich nur Träger von bestimmten Emotionen, die ich zum Ausdruck bringen will.“
Spielt in dieser Weltsicht sein Schwulsein überhaupt eine Rolle?
„Natürlich hat man als Schwuler eine bestimmte Wahrnehmung. Ich kann nicht genau in Worte fassen, was das ausmacht. Das hat etwas mit Erfahrungen zu tun, die man im Leben gesammelt hat. Schließlich gibt es ja auch geschlechtsspezifische Unterschiede. Frauen finden zum Beispiel eher Zugang zu meinen Gesichtslandschaften als heterosexuelle Männer. Ja, es gibt definitiv eine schwule Sichrweise. Wie man sie verarbeitet, hängt davon ab, wie offen man lebt.“
Ich werfe abermals einen Blick auf die Gesichter. Gehören sie zu Männern? Oder zu Frauen? Es ist eine Frage, die sich unweigerlich aufdrängt. Warum eigentlich? Für mich kann ich sie immer noch nicht beantworten. Vielleicht ist es diese fehlende Gewissheit, die einige Hetero-Männer verunsichert. Die
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