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Grenzen der Sehnsucht

Grenzen der Sehnsucht

Titel: Grenzen der Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Kraemer
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dazugehören. Wieso ist er eigentlich nach dem Tod des Freundes in Deutschland geblieben? Noch dazu im konservativen Bayern, wo er doch in einem Land aufgewachsen ist, das für seine Liberalität in aller Welt bekannt ist?
    „Mir ist klar geworden, dass ich schon immer darauf erpicht war, aus Holland wegzukommen. Dort fand ich kaum Inspiration. Meine Kunst hätte in den Niederlanden keine Chance gehabt. Ein Galerist hat mir mal gesagt: Das ist zu deutsch, was du da produzierst. Zu sehr angelehnt an den Expressionismus, für den man sich in Holland nie sonderlich begeistern konnte. Tatsächlich fühle ich mich von der Kunstgeschichte Deutschlands sehr inspiriert, speziell von München, von der Künstlergruppe Blauer Reiter. Auch wenn München vielleicht ein bisschen provinziell ist, fühle ich mich hier gut aufgehoben. So konservativ ist die Stadt im Übrigen nicht. Im Vergleich zum Rest von Bayern ist es eine rote Insel mit internationalem Anstrich. Und Holland ist längst nicht so liberal, wie man in Deutschland denkt. Dort gibt es eine wahnsinnig engstirnige, calvinistische Strömung.“
    Andererseits sei da das beispiellos tolerante Holland, das sich seiner Ansicht nach nur deswegen als Gegenbewegung formiert habe, um der Spießigkeit etwas entgegenzusetzen. Dazu gehört auch die schwule Szene, die in vielem fortschrittlicher ist, zum Beispiel was den Wunsch nach Kindern betrifft.
    „Hier in Deutschland werden Kinder von Schwulen nur dann akzeptiert, wenn sie aus einer früheren heterosexuellen Phase stammen. Es gibt keine Diskussion, die darüber hinaus geht. Wer als Schwuler ein Kind haben möchte, erntet Unverständnis.“
    In den Niederlanden hingegen formulierten Schwule und Lesben bereits in den siebziger Jahren den Anspruch, an der „Reproduktion der Gesellschaft“ mitzumischen. Und so politisch, wie sich das anhörte, war es auch gemeint.
    Auch eine lesbische Freundin von de Beer wollte eines Tages unbedingt ein Kind haben. Von ihm. An den Abend erinnert er sich noch genau.
    „Ich hatte einen Nachmittag mit den Kindern von Freunden verbracht, und auf dem Nachhauseweg dachte ich noch: Okay, Kinder sind toll, aber eigene muss ich nicht haben. Später klingelte das Telefon, die Freundin war dran, sie wollte was Wichtiges mit mir besprechen. Nämlich, dass sie beschlossen hatte, schwanger zu werden. Dabei hatte sie an mich gedacht.“
    Zu dieser Zeit wurde in Holland erstmals über schwul-lesbische Elternschaften debattiert.
    „Es gab auch schon erste gerichtliche Auseinandersetzungen, weil viele Väter, die ursprünglich nur ihr Sperma spenden sollten, nach der Geburt emotionaler reagierten als angenommen. Wir verblieben so, dass ich mich solange zurückhalte, bis das Kind von selbst auf mich zukommt.“
    Und so setzte er neues Leben in die Welt, noch bevor es ihn nach Deutschland verschlug. Nur kurze Zeit also, bevor eine Liebesgeschichte begann, mit der für ihn ein weiterer point of no return gesetzt wurde; dem Ereignis, das ihn über so viele Jahre hinweg mit dem entgegengesetzten Thema beschäftigen würde.
    „Ich war früher mal Student der Tiermedizin. Daher wusste ich über künstliche Besamung bestens Bescheid“, erinnert er sich. „Mein Sperma kam in einen Behälter, der Behälter in ein auf Körpertemperatur erwärmtes Wasserbad, und das schickte ich dann per Kurier zu der Freundin. So hat es schon nach drei Monaten geklappt.“
    Gleich nach der Geburt bekam er noch ein Foto von seinem Kind zu sehen. Dann hat er zwölf Jahre fast nichts gehört. Und sich auch nicht mehr mit der Sache beschäftigt. Erst viele Jahre nach dem Tod des Freundes kam in ihm ab und zu der Wunsch auf, seine Tochter zu sehen.
    Es mag ein seltsamer Zufall sein, dass sie sich just dann bei ihm meldete, nachdem er beschlossen hatte, Krankheit und Tod nicht mehr ein alles überragendes Gewicht in seinem Leben einzuräumen. Die Jobs in der Psychiatrie und der Aids-Pflege hatte er vor kurzem an den Nagel gehängt; er machte sich als Maler selbständig. Gerade hatte er seinen fünfzigsten Geburtstag hinter sich, da bekam er eine Email von seiner Tochter, die inzwischen volljährig war und ihn kennen lernen wollte. Es kam zu einem ersten Treffen; sie besuchte eine Ausstellung von ihm in Utrecht.
    Und wie muss man sich diese Begegnung vorstellen?
    „Nicht wie in einer kitschigen Soap. Nicht so emotional. Ich habe so viele Kinder in meiner Verwandtschaft, allein vierzig Neffen und Nichten väterlicherseits. Ich mag Kinder

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