Grenzen der Sehnsucht
lehnten zwei Drittel aller Jugendlichen Schwule und Lesben ab – mehr als doppelt so viele wie nur vier Jahre zuvor. Und jeder Dritte Selbstmord in der jüngeren Generation sei nach Ansicht von Experten auf Homosexualität zurückzuführen.
Nicht zu vergessen: Schwul ist unter Jugendlichen immer noch ein Schimpfwort.
Die Welt am Sonntag war nicht die einzige Zeitung, die sich darüber den Kopf zerbrach.
„Wie schwul ist Deutschland?“, fragte die Bild -Zeitung auf ihrer Titelseite nach nur einer Woche Abstand.
Ziemlich schwul sogar, urteilte die Redaktion und führte als Beleg die beiden Hochburgen Köln und Berlin an, in denen „jeder Zehnte schwul“ sei und wo es in einschlägigen Quartieren „vom Café über den Zahnarzt bis zum schwullesbischen Altenheim“ eine „komplette Infrastruktur“ gebe.
Da mag sie wohl recht haben, die Bild, obwohl das Phänomen ja eigentlich nur auf eine sehr ungleiche Verteilung schwulen Lebens schließen lässt: schwule Männer ziehen bevorzugt in große Metropolen.
Wie man auch beurteilen mag, dass viele ihrer Heimat den Rücken kehren und ihr persönliches Eldorado in den Millionenstädten suchen: Jedenfalls hat die Subkultur, entgegen anderslautenden Annahmen, keineswegs an Bedeutung verloren. Im Gegenteil: Sie ist größer, und ihre Erscheinungsformen sind vielfältiger als je zuvor. Nur blüht sie eben nicht überall. Stattdessen wuchert sie in den großen Zentren Deutschlands, zu denen neben Berlin und Köln auch München, Frankfurt und Hamburg zählen.
Aber lebt man dort als Schwuler wirklich besser? Und sind die jeweiligen Szenen in den Städten fest verankert? Lassen sie etwas Typisches erkennen, das sie einzigartig macht? Wie sehen sie denn nun aus, die regionalen Eigenarten der schwulen Szenen?
Genau davon handelt dieses Buch. Ein Jahr lang bin ich durch Deutschland gereist, habe recherchiert und meine persönlichen Eindrücke festgehalten, mich mit zahlreichen schwulen Männern über ihre Heimatgefühle, ihre Ideen, Hoffnungen und Sehnsüchte unterhalten, über ihre Ängste und Enttäuschungen. Einige von ihnen werden hier porträtiert, darunter junge und ältere, prominente und nicht prominente, sie stammen aus den unterschiedlichsten sozialen Milieus. Darunter finden sich Erfolgsgeschichten genauso wie solche, die vom Scheitern erzählen, doch meist lässt sich das eine nicht vom anderen trennen. Es geht um überraschende Wendungen und skurrile Zufälle, die dem einen oder anderen Lebensentwurf unverhofft eine andere Richtung gaben.
Wie wollen schwule Männer eigentlich leben? Dieses Buch soll dazu Anregungen geben.
München
Krachledernes und Kir Royal
Auf dem Teppich mit Whitney Houston:
Die Münchner Gesellschaft und ihre Schwulen
München ist die Prinzessin unter den deutschen Metropolen, die gekrönte Diva. Hier setzt man sich mehr in Szene als anderswo, keine andere Großstadt ist so exaltiert und exhibitionistisch; nirgendwo sonst in Deutschland nehmen die Klatschspalten eine solche Bedeutung ein. Warum gerade München? Nun, vielleicht, weil die Boulevards prachtvoller sind als anderswo, weil der Zierrat an den Fassaden aus König-Ludwig-Zeiten die Illusion von Erhabenheit beflügelt, weil in den Bavaria-Filmstudios seit Jahrzehnten Großproduktionen für das Kino und das Fernsehen gedreht werden, und schließlich weil sich hier zahlreiche Stars und gutverdienende Kreative angesiedelt haben. Auf sie richtet sich das Auge der Öffentlichkeit; keine andere Stadt Deutschlands befriedigt so sehr das Bedürfnis nach Klatsch und Tratsch, nach einem Einblick in das Intimleben der Prominenten, deren Leben für viele eine Art Maßstab für das eigene ist.
Die Fernsehserie Kir Royal um den umtriebigen Paparazzo Baby Schimmerlos hat dem Phänomen in den achtziger Jahren ein Denkmal gesetzt, und tatsächlich gilt auch heute noch, dass sich zur eingeschworenen Münchner Gesellschaft nur zählen darf, wer schon mal in der Bunten – dem eigentlichen Stadtmagazin Münchens – oder in der Abendzeitung in einer Kolumne namentlich erwähnt wurde.
Es geht um Partyflirts, Hochzeiten, Scheidungen und Zickenkriege. Doch was der Münchner Öffentlichkeit am allermeisten unter den Nägeln brennt, ist natürlich „die mörderische Frage, wer mit wem schläft“, so der Untertitel des Kir-Royal- Nachfolgefilms Rossini.
Wird sich Oliver Kahn von seiner Frau wegen eines Seitensprungs trennen? Und wie war das noch mal mit Bernd Eichinger und seiner Affäre mit Nadja
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