Grenzen setzen – Grenzen achten
wund. Der Kurzfilm „Die Mauer“ bringt diese Erfahrung anschaulich ins Bild. Da werden zwei Menschen vor einer Mauer gezeigt. Der eine findet sich mit der Grenze ab. Der andere läuft ständig gegen sie an. Schließlich stößt er mit seinem Kopf ein Loch durch die Mauer. Doch diesen Sieg bezahlt er mit dem Tod. Der andere geht durch das freie Loch. Aber kaum hat er die Mauer überwunden, erscheint schon wieder eine neue vorihm. Es gibt offensichtlich viele Mauern, viele Grenzen, die uns einengen. Die Frage ist, wie wir uns angesichts unserer Grenzen verhalten. Mit dem Kopf durch die Wand zu gehen ist offensichtlich problematisch. Die Konsequenz kann sein, dass wir das – im übertragenen oder im wörtlichen Sinn – mit dem Leben bezahlen. Oder wir können die Grenzen akzeptieren und kreativ mit ihnen umgehen. Eine andere Möglichkeit wäre, die Grenzen zu verdrängen und einfach nur so dahin zu leben. Doch auch dies ist keine gute Alternative. Denn dann wird mein Leben langweilig und sinnlos. Ich muss mich den Grenzen stellen und mich an ihnen reiben. Das tut oft weh. Es erzeugt aber auch eine gesunde Spannung: die Spannung zwischen dem Akzeptieren der Grenzen und dem Hinausschieben und Überspringen.
Der spirituelle Weg geht anders mit den Grenzen um, die Gott uns gesetzt hat. Ich erkenne meine Grenzen an und verstehe sie als Zeichen meiner Geschöpflichkeit und Endlichkeit. Für den hl. Benedikt ist es ein Zeichen der Demut, zu seiner Endlichkeit und Begrenztheit zu stehen und sie zu akzeptieren. In seinem Kapitel über die Demut beschreibt Benedikt den Mönch, der sich seiner Begrenzung stellt, auch wenn es ihm schwer fällt: „Er erträgt alles, ohne müde zu werden und davonzulaufen; die Schrift sagt ja: Wer bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet. Ebenso: Dein Herz sei stark, und ertrage den Herrn!“ (RB 7,36f) Die Standfestigkeit ist die Tugend, die vom Mönch gefordert wird, wenn er sich von den Grenzen, die ihm gesetzt sind von der Gemeinschaft, vom Abt und von Gott, eingeengt fühlt. Indem er standhaft bleibt, wächst er an den Grenzen. Und er lässt sich von seinen Grenzen auf den grenzenlosen Gott verweisen. Gott ist jenseits der Grenze. Er ermöglicht es uns, uns mit unseren Grenzen auszusöhnen.
Zeitgrenzen
Eine Grenze, die wir heute alle schmerzlich erleben, ist die Zeit. Unsere Zeit ist begrenzt. Als Kinder konnten wir zeitlos spielen. Da achteten wir nicht auf die Zeit. Heute gibt es ständig Termine: „Grenzsteine“ unserer Möglichkeiten und Pflichten. Die Zeit, die wir für die Arbeit, für die Begegnung, für das Lesen, für das Spielen zur Verfügung haben, ist beschränkt. Der biologische Zeitrhythmus setzt uns natürliche Grenzen. Wir werden müde und kommen an unsere individuelle Leistungsgrenze. Manche wollen die Zeit überlisten, indem sie immer mehr und schließlich zuviel in eine bestimmte Zeitspanne hineinpacken. Jede Minute muss ausgenutzt werden. Doch irgendwann wird man, wenn man so lebt, unfähig, die Zeit überhaupt noch wahrzunehmen und zu genießen.
Eine schmerzliche Zeitgrenze erleben wir alle mit dem Älterwerden. Da merken wir, wie manches nicht mehr so geht wie früher. Viele überspringen ihre Zeitgrenzen. Sie meinen, sie könnten immer so weitermachen wie bisher. Doch die Missachtung ihrer zeitlichen Grenzen meldet sich dann nicht selten in einem körperlichen Zusammenbruch zu Wort. Bei der Pensionierung, dem sogenannten Ruhestand, werden uns von außen – sozusagen durch gesellschaftliche Übereinkunft – Grenzen gesetzt. Manche erleben diese Veränderung positiv und freuen sich auf den Freiraum, der sich ihnen dadurch auftut. Für andere ist es ein Einschnitt und eine schmerzliche Grenze. Sie finden sich nur schwer damit ab, bei Entscheidungen nicht mehr gefragt zu werden, ohne Terminkalender zu sein, der ihre Wichtigkeit dokumentiert. Von einem Tag auf den anderen ändert sich ihr Leben. Mit der Zeitgrenze der Pensionierung gut umzugehen, ist eine Kunst, die erst gelernt werden muss. Gerade heute, da die Leute immer älter werden, wäre es auch eine wichtige geistliche Aufgabe, diese Kunst zu lernen.
Grenzen des Wachstums
Die Gesellschaft erlebt heute schmerzlich den Abschied von der Vorstellung eines unbegrenzten Wachstums. Die Wissenschaftler des Club of Rome haben uns schon vor Jahrzehnten auf die „Grenzen des Wachstums“ aufmerksam gemacht. 1972 ist ihr berühmt gewordener „Bericht zur Lage der Menschheit“ erschienen, der dies
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