Grenzen setzen – Grenzen achten
prognostiziert hat. Seither ist die grenzenlose Wachstumsideologie zerbrochen. Auch die Wirtschaft kann nicht immer weiter wachsen. Alles, Produktion ebenso wie Konsum, stößt an seine Grenze. Die Menschen können nicht beliebig viel essen und trinken. Die Firmen können nicht immer nur auf Halde produzieren. Die Absatzmärkte sind begrenzt. Man kommt auch im Bereich des Wirtschaftens um die grundsätzliche Wahrheit nicht herum, dass alles menschliche Werk an Grenzen stößt, auch wenn unsere Wünsche und Sehnsüchte über die Grenze hinausreichen. Aber entweder mündet unsere Sehnsucht in eine euphorische Wachtumsideologie, die von der Realität eingeholt wird. Oder aber sie fixiert sich nicht bloß auf rein materielle Ziele. Letztlich wird unsere tiefste Sehnsucht nur erfüllt, wenn wir sie über die menschlichen Grenzen auf Gott hin ausrichten, der jenseits aller Grenzen ist.
Wahre Weisheit
Viele Menschen stoßen sich wie Hiob schmerzlich und existentiell an ihren Grenzen. Sie haben ihre festen Vorstellungen vom Leben und wollen es nicht akzeptieren, dass ihnen Grenzen gesetzt sind. Da hat sich einer etwa in den Kopf gesetzt, er müsse unbedingt Mathematik studieren. Wenn er es dann nicht schafft, kann er sich das Scheitern nicht eingestehen. Manche wollen mit aller Gewalt ein selbst gestecktes Ziel erreichen. Oft überfordernsie sich und reagieren dann mit Krankheit. Es gehört Demut dazu, sich seine Grenzen einzugestehen. Das Gegenteil der Demut ist die Hybris. In ihr identifiziere ich mich mit grenzenlosen Bildern, etwa mit dem Bild des Helden, der vor nichts Angst hat, mit dem Bild des Heilers, der jede Krankheit zu heilen vermag, mit dem Bild des Helfers, der jedem helfen kann, oder mit dem Bild des Machers, der alles kann, was er will. Der griechische Mythos erzählt uns in vielen Bildern, wie es dem Menschen geht, der seine Grenzen nicht wahrhaben will. Prometheus ist das Bild des Menschen, der seine Grenzen übersieht. Er raubt den Göttern das Feuer. Er nimmt sich etwas, was dem Menschen nicht zusteht. Zur Strafe wird er an einen Felsen im Kaukasus gefesselt. Ein Adler frisst täglich seine Leber, die dann immer wieder nachwächst. Der Adler erinnert bildhaft an die Größenphantasien, die ihn zu seinem Tun verleitet haben, und weist ihn schmerzlich in seine Grenzen.
Wir dürfen uns wie Hiob reiben an den Grenzen, die Gott uns gesetzt hat. Wir dürfen ausprobieren, ob wir die Grenze ein Stück weit überschreiten können. Vielleicht haben wir sie zu eng gesehen. Doch zur Weisheit des Menschen gehört es, sich einzugestehen, dass Gott uns auch Grenzen gesetzt hat, die wir nicht überschreiten können: die Grenze unserer Fähigkeiten, die Grenze unseres Leibes und unseres Geistes, und schließlich auch die Grenze unseres Lebens. Wir können das Ende unseres Lebens durch medizinische Anstrengungen noch so sehr hinausschieben. Es wird kommen. Und angesichts dieses Endes zu leben, anstatt die eigene Begrenztheit zu leugnen, das ist wahre Weisheit.
5. Grenzen muss man kennen lernen
Von klaren Regeln und notwendiger Reibung
Schutz vor Überforderung
Kohelet war ein Weisheitslehrer, der die Weisheit der Juden und der Griechen miteinander verbunden hat. Er hat die Menschen in ihrem Verhalten beobachtet und musste erkennen: „Der Mensch kennt seine Grenze nicht.“ (Koh 9,12) Was der Weisheitslehrer über den Menschen ganz allgemein aussagt, das gilt heute vor allem für die Kinder. Viele Eltern haben heute Probleme, ihren Kindern Grenzen zu setzen. Daher wachsen viele Kinder ohne Grenzen auf. Sie wissen gar nicht, wo die Grenze ist, die sie nicht überschreiten sollen. Der Hamburger Pädagoge Jan-Uwe Rogge hat in seinem Buch „Kinder brauchen Grenzen“ mit viel Humor, aber auch mit Nachdrücklichkeit, die Eltern aufgefordert, den Kindern klare Grenzen zu setzen. Sonst brauchen sie sich nicht zu beschweren, wenn ihnen die Kinder auf der Nase herumtanzen. „Grenzen setzen meint, sich gegenseitig in der Persönlichkeit zu achten und zu respektieren.“ (Rogge)
Viele Eltern tun sich schwer, ihren Kindern Grenzen zu setzen, denn sie wollen das Beste für ihre Kinder. Oft leiden sie selbst darunter, dass ihre Eltern ihnen zu enge Grenzen gesetzt haben, die sofort mit Strafen und Strafandrohungen verbunden waren. Das wollen sie ihren eigenen Kindern ersparen. Aus Angst, die Kinder den gleichen Erfahrungen auszuliefern, die sie selbst durchgemacht haben, setzen sie kaum noch Grenzen. Doch damit tun sie sich
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