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Grenzen setzen – Grenzen achten

Titel: Grenzen setzen – Grenzen achten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Grün/Ramona Robben
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sie unbewusst selber. Sie fühlen sich innerlich immer noch ständig von der Mutter beobachtet und beurteilt. Und sie haben dann auch in ihrem eigenen Bereich Probleme, sich abzugrenzen gegenüber ihrer Familie oder gegenüber den Wünschen ihrer Arbeitskolleginnen. Die Ermutigung Jesu ist da heilsam: sie dürfen sie selbst sein und sich von der Mutter trennen. Nur wenn die Trennung zwischen Tochter und Mutter gelungen ist, kann eine fruchtbare Beziehung wachsen, in der die Tochter auch die positiven Wurzeln erkennen kann, die ihr die Mutter gegeben hat. Und dann werden solche Frauen auch fähig sein, sich im Leben auf gute Weise abzugrenzen gegenüber den Erwartungen von außen.

    Es geht aber nicht nur um äußere Abgrenzung. In der Beratung und Begleitung begegnen wir solchen Konstellationen immer wieder: Viele Töchter sind innerlich an die Mutter gebunden. Auch wenn sie sich nach außen hin erfolgreich abgegrenzt haben, haben sie, oft unbewusst, die Schattenseite der Mutter übernommen. Die Mutter war nach außen hin immer freundlich und hilfsbereit. Doch unbewusst ging von ihr Lebensverneinung aus. Die Tochter weiß gar nicht, warum sie sich manchmal solebensmüde, gelähmt und ausgelaugt fühlt. Erst in der Therapie wird ihr bewusst, dass sie die Schattenseite der Mutter lebt. Es braucht oft lange, sich auch im Unbewussten von der Mutter abzugrenzen. Denn im Unbewussten sind wir vom anderen beeinflusst, ob wir es wollen oder nicht. Indem wir uns das Unbewusste bewusst machen, können wir uns langsam von den Schattenseiten der Mutter abgrenzen. Wir werden den Schatten immer wieder erfahren, selbst wenn wir uns abgrenzen. Bei einer solchen Beziehungskonstellation besteht die Kunst darin, den Schatten erst einmal wahrzunehmen und sich dann zu distanzieren. Wenn ich mich ausgelaugt fühle, kann ich mir sagen: „Das ist wieder der Schatten meiner Mutter. Das ist die Depressivität meiner Mutter. Ich lasse sie bei ihr.“ Indem ich den unbewussten Einfluss der Mutter erkenne, kann in mir die Kraft wachsen, mich aufzurichten und mein Leben aktiv in die Hand zu nehmen. Indem ich mich vom Schatten distanziere, komme ich mit der Kraft in Berührung, die auch in mir liegt.
Gesunde Distanz
    Häufig erzählen Frauen, dass sie sich schwer tun, sich gegenüber ihrer alten pflegebedürftigen Mutter abzugrenzen. Sie möchten zwar ihre Mutter selber pflegen und ihr den Lebensabend erleichtern. Aber dann merken sie, wie sie mit innerem Widerstand zur Mutter gehen, wie sie aggressiv werden, wenn die Mutter einen Wunsch äußert. Eine Frau meinte: „Wenn ich von der Mutter weggehe, fühle ich mich immer schwächer, wie ausgesaugt.“ Sie nimmt die Unzufriedenheit der Mutter in sich auf und lässt sich von ihr verletzen. Gerade in einer solchen Situation ist es notwendig, sich gut abzugrenzen. Eine Hilfe kann etwa sein, sich vor dem Besuch kurz hinzusetzen und zu meditieren, damit man ganz bei sich ist. Je mehr jemand mit sich inBerührung ist, desto weniger kann der andere die eigene Grenze verletzen. Ich nehme wahr, was die Mutter möchte. Ich wehre mich nicht dagegen, sondern nehme es einfach wahr. Aber ich traue dann meinem Gespür, auf welche Wünsche ich eingehen möchte und auf welche nicht. Auf diese Weise wird eine nicht vereinnahmende, freie und zugleich liebevolle Beziehung zur Mutter möglich, die beiden hilft.

    Eine andere Hilfe ist, die Gefühle, die man in der Begegnung mit der Mutter in sich wahrnimmt, der Mutter zurückzugeben. Ich stelle mir z. B. vor, wie die Unzufriedenheit, die ich spüre, in meiner Mutter ist. Dann wächst in mir ein anderes Gefühl. Ich empfinde eher Mitleid über diese alte Frau, die sich selbst nicht akzeptieren kann, die in sich zerrissen und unzufrieden ist. Diese Übung hilft mir, geduldiger und milder mit der Mutter umzugehen, ohne mich selber zu überfordern. Ich kann nicht verhindern, dass in der Begegnung mit anderen Menschen in mir negative Gefühle auftauchen. Oft übernehme ich die Gefühle, die im anderen sind. Insofern kann ich an meinen eigenen Gefühlen erkennen, wie es dem anderen wirklich geht. Indem ich die Gefühle dem anderen wieder zurückgebe, komme ich in mir mit meinen eigenen Gefühlen in Berührung. Statt der Aggression begegne ich dann meiner inneren Klarheit, statt der Unzufriedenheit dem Mitleid, statt der Depressivität meiner eigenen Kraft. In der Begegnung überspringen die Emotionen des anderen meine eigene Grenze. Indem ich dies wahrnehme, kann ich mich

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