Grenzen setzen – Grenzen achten
wieder abgrenzen: Ich lasse die Emotionen beim anderen und schaue sie von einer gesunden Distanz her an, ohne sie zu bewerten oder zu beurteilen.
7. Die eigenen Grenzen nicht verletzen lassen
Von äußerem Druck und der eigenen Mitte
Ganz bei sich
Wer in seiner eigenen Mitte ist, ist gegen Verletzungen seiner Grenzen am ehesten gefeit. Der Evangelist Markus beschreibt das in einigen Szenen: Jesus ist ganz bei sich und lässt sich nicht aus der eigenen Mitte bringen. Er lässt sich nicht von andern die Spielregeln vorschreiben, nach denen er zu handeln hätte. Im Gegenteil: Er ist souverän. Er ist mit sich selbst in Berührung und tut das, was er von innen heraus als für sich stimmig spürt. Seine Gegner möchten gerne über ihn verfügen und ihn für sich vereinnahmen. Doch sie bringen es nicht fertig, über die Grenze, die er ihnen weist, vorzudringen.
Zwei Szenen sind in diesem Zusammenhang besonders aufschlussreich. Da ist einmal die Schilderung in Mk 3, 1–6: Jesus geht am Sabbat als frommer Jude in die Synagoge. Dort sieht er einen Mann, dessen Hand verdorrt ist. Jesus ergreift die Initiative. Er fordert den Mann auf: „Steh auf und stell dich in die Mitte!“ (Mk 3,3) Jesus hätte einfach nur zuhören und sich dem Gebet überlassen können. Doch er spürt einen inneren Impuls, den kranken Mann zu heilen. Zugleich merkt er, dass die Pharisäer ihn beobachten. Sie suchen einen Grund, ihn anzuklagen. Wenn er am Sabbat einen Kranken heilt, der nicht in Lebensgefahr schwebt, dann hätten sie einen Grund zu einer solchen Anklage. Jesus lässt sich von den Pharisäern nicht einschüchtern. Er stellt ihnen vielmehr eine sehr klare und zugleich scharfe Frage: „Was ist am Sabbat erlaubt: Gutes zu tun oder Böses, ein Leben zuretten oder es zu vernichten?“ (Mk 3,4) Jesus ist der aktiv Handelnde. Er zwingt seine Gegner zu einer Reaktion. Doch sie sind zu feige. Sie trauen sich nicht zu antworten. Denn die Frage, die Jesus ihnen stellt, zeigt ihre wahre Absicht auf. Wenn sie auf die Einhaltung der Gebote pochen, dann tun sie am Sabbat Böses, dann vernichten sie Leben. Und das können sie sich selbst nicht eingestehen. Also schweigen sie. Doch Jesus gibt ihnen keine Macht. Er schaut sie der Reihe nach an, „voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz“ (Mk 3,5). Der Zorn ist die Kraft, mich vom anderen zu distanzieren, eine klare Grenze zu ziehen: „Da bist du und hier bin ich. Du darfst so sein, wie du bist. Ich mache dir keinen Vorwurf. Aber ich stehe zu dem, was ich denke. Du darfst ein hartes und verstocktes Herz haben. Aber es ist dein Problem. Ich lasse mich davon nicht bestimmen.“ Und Jesus tut das, was er für richtig hält. Er gibt den Erwartungen und der Haltung der Pharisäer keine Macht. Er lässt nicht zu, dass sie seine Grenze überschreiten und ihm mit ihrer rigorosen Haltung vorschreiben, was er zu tun hat. Er ist souverän. Er handelt aus der eigenen Mitte heraus. Die anderen möchten seine Grenze verletzen. Aber er lässt es nicht zu. Er schützt sich vor dem Übergriff.
Innere Stimmigkeit
Wir lassen uns häufig von den Erwartungen und Urteilen der anderen bestimmen. Wir stehen nicht zu dem, was wir für richtig halten. Sobald der Meinungsdruck von außen zu groß wird, verlassen wir das eigene Gebiet. Aus Rücksicht auf die Meinungen um uns herum passen wir uns an. Damit aber verlieren wir die eigene Kontur. Wir verschwimmen. Wir passen uns an und verlieren zugleich unsere Selbstachtung. Wenn wir uns zu oft den Erwartungen der anderen angepasst haben, geht uns das Gespür dafür verloren, was wir selber wollen. Wir sind nicht mehr inKontakt mit unserem eigenen Gefühl. Wir lassen uns von außen vorschreiben, wie wir uns fühlen und wie wir handeln sollen. Doch das führt immer mehr zur Entfremdung von unserem eigenen Selbst. Wir lassen andere über unsere Grenzen schreiten und unser Gebiet von ihnen bestimmen. Es ist faszinierend, wie klar und frei Jesus ist. Die Aggression ermöglicht es ihm, sich klar von den Pharisäern abzugrenzen und sich von ihrem Einfluss innerlich zu befreien. Er steht in sich und tut das, was er von innen heraus als richtig spürt. Nach solcher Klarheit und Freiheit sehnen wir uns. Freilich kostet diese Klarheit Jesus in der Konsequenz das Leben. Doch die innere Stimmigkeit ist ihm wichtiger als der Beifall der Massen.
Noch eine andere Szene zeigt, wie Jesus aus der inneren Freiheit heraus handelt und nicht unter dem Druck steht, sich zu rechtfertigen.
Weitere Kostenlose Bücher