Grenzen setzen – Grenzen achten
Nein nicht, sondern bohren weiter. Häufig werden wir daraufhin ärgerlich und zählen alle möglichen Begründungen auf, warum es wirklich nicht geht. Und schon fühlen wir uns in die Enge getrieben. Auch in einer solchen Alltagssituation ist ein Blick auf das eben erzählte Beispiel hilfreich: Jesus lässt sich nicht in die Enge treiben. Er handelt souverän. Weil er aus dieser inneren Freiheit heraus spricht, wird er nicht aggressiv, sondern bleibt ruhig und klar. Immer wenn wir uns selber diese innere Freiheit erlauben oder wenn wir sie spüren, dann können wir ruhig neinsagen, ohne uns verteidigen zu müssen. Die eigene Grenze zu betonen, ohne sich rechtfertigen zu müssen, ist ein Weg, der uns zudem viel Energie und Kraft ersparen kann. Jesus zeigt auch für diese Alltagssituation: Wir sollen uns nicht aus der Rolle des Handelnden heraustreiben lassen. Wenn wir auch am Telefon der eigentlich Handelnde sind, kostet es uns weniger Energie, uns abzugrenzen. Sobald wir uns rechtfertigen und unsere Abgrenzung begründen, haben wir den Anrufer schon über unsere Grenze hinweg vordringen lassen. Er ist schon in unserem inneren Bereich. Und wir meinen, wir könnten ihn nur durch weitere neue und bessere Begründungen aus diesem Bereich herausschieben. Jesus will uns etwas anderes zeigen: Ich brauche mich nicht zu rechtfertigen. Ich sage das, was ich für stimmig empfinde. Das genügt. Ich muss mich nicht unter Druck setzen, dass der andere mein Nein verstehen und für gut heißen muss. Ich habe nein gesagt. Das genügt. Was der andere denkt, ist seine Sache. Darüber muss ich mir nicht den Kopf zerbrechen.
Notwendige Unterscheidungen
In der Begleitung hören wir von den verschiedensten Strategien, die Grenzen eines Menschen zu überschreiten. So erzählt eine Frau von der Strategie ihres Freundes, in ihr Schuldgefühle zu erzeugen, wenn sie einmal den Mut findet, sich abzugrenzen. Da sie eine spirituelle Frau ist, sind die Schuldgefühle ihre Achillesferse. Sobald ihr Freund ihr die Schuld an den Schwierigkeiten in der Beziehung zuschiebt, kann sie sich nicht wehren, denn sie hat für sich den Anspruch, alles richtig zu machen. Sie fragt sich, ob sie mit mehr Liebe und Geduld dazu beitragen könnte, dass die Beziehung gelingt. Eine noch massivere Strategie, die eigene Grenze aufzulösen, ist die Drohung mit Suizid. Wenn ihr Freund damit droht, er würde sich etwas antun, traut sich seine Freundinnicht mehr, die eigene Grenze wahrzunehmen. Sie lässt sich zu Kompromissen drängen, die sie immer kleiner werden lassen. So hat jeder von uns eine Achillesferse. An ihr kann der andere in uns eindringen, und wir vermögen uns nicht zu wehren. Für den einen ist die Angst vor dem Gerede der Leute die Achillesferse, für den andern der eigene Perfektionismus oder der Anspruch, niemanden zu verletzen und keinem anderen etwas zuzumuten. Es braucht die Gabe der Unterscheidung, um zu erkennen, was wirklich Gottes Wille ist, und wo wir uns nur von anderen zu etwas drängen lassen, was unsere Grenzen mehr und mehr auflöst und uns immer kleiner und schwächer werden lässt.
Eine Frau wurde nach Abbruch der Therapie von ihrem Therapeuten immer wieder angerufen. Er versprach ihr, er könne sie heilen, er werde sie zu einer freien Sexualität erlösen, wenn sie mit ihm schlafe. Durch ihn würde sie liebesfähig werden. Er könne ihr psychologisch sehr genau erklären, dass sie verklemmt sei und durch die Verdrängung der Sexualität depressiv würde, dass ihre Schwierigkeiten nur darin begründet wären, dass sie ihre alten Moralvorstellungen von Sexualität noch in sich trüge. Die Frau fühlte sich durch diese Anrufe in die Enge getrieben. Sie war nicht souverän und sie hatte ihre Mitte noch nicht gefunden. Sie war noch zu sehr davon abhängig, was der Therapeut antworten könnte, wenn sie sich weigerte. Die Betrachtung der inneren Freiheit Jesu könnte ihr helfen, sich nicht in die Enge treiben zu lassen, sich nicht zu rechtfertigen. Dann wäre sie in der Lage, den Spieß umzudrehen und den Therapeuten zu fragen: „Wozu brauchst du denn deine Erlösungsphantasien? Warum hast du es nötig, mit deinen Klientinnen zu schlafen?“ Dann wäre sie innerlich frei von dem Rechtfertigungsdruck. Und sie würde eher den Therapeuten in Bedrängnis bringen. Er müsste von seinem therapeutischen Thron herabsteigen und sich seinen eigenen Bedürfnissen stellen.
8. Grenzenlose Menschen
Vom Umgang mit Emotionsbrei
Wehrlose Menschen
Es gibt
Weitere Kostenlose Bücher