Grenzen setzen – Grenzen achten
kann ich nie mit absoluter Sicherheit behaupten, ich würde mit dieser oder jener Entscheidung Gottes Willen erfüllen. Ich kann nur sagen, dass ich jetzt weder kann noch will. Ob der andere es versteht oder nicht, muss ich ihm überlassen. Dass er von mir enttäuscht ist und aggressiv wird, muss ich aushalten.
13. Grenzen schaffen Beziehung
Von der Angst vor Liebesverlust und von gelingender Liebe
Eine neue Qualität der Beziehung
Der entscheidende Grund, warum wir uns oft mit dem Abgrenzen so schwer tun, ist die Angst, wir könnten uns unbeliebt machen, wir würden eine Beziehung stören oder gar abbrechen, die Angst davor, abgelehnt zu werden. In Wirklichkeit ist es gerade umgekehrt: Die Bejahung der eigenen Grenzen schafft gesunde Beziehungen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass andere mein Nein durchaus verstanden und respektiert haben, ja dass das Nein zum Anlass geworden ist, über meine und die Situation des Fragers ehrlicher zu sprechen, als wenn ich gleich Ja gesagt hätte. Das Nein bedeutet keine Ablehnung des anderen, sondern ist zugleich ein Angebot, auf eine Weise eine Beziehung aufzunehmen, die mir und dem anderen gut tut. Wenn ich immer nur ja sage, dann bin ich zwar bei vielen beliebt. Aber ein Automatismus des Ja-Sagens verhindert in Wirklichkeit eine gesunde Beziehung. Wenn ich mich klar abgrenze, können auch die anderen von mir lernen und den Mut zur eigenen Abgrenzung finden. Ich befreie sie von ihrem schlechten Gewissen, wenn sie selber Nein sagen. Sie fühlen sich frei und lassen mir die Freiheit.
Wie Abgrenzung Beziehung schafft, das zeigt uns die Begegnung des auferstandenen Jesus mit Maria von Magdala (Joh 20,1–18). Maria von Magdala steht voller Sehnsucht schon frühmorgens auf, um zum Grab zu gehen. Sie sucht den, den ihre Seele liebt. Sie möchte Jesus noch einmal sehen und ihnberühren, auch wenn er tot ist. Doch das Grab ist leer. Dreimal spricht sie davon, dass man den Herrn aus dem Grab weggenommen hat und keiner weiß, wohin man ihn gelegt hat. Beim dritten Mal sagt sie zum vermeintlichen Gärtner: „Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen.“ (Joh 20,15) Sie meint, sie könne den Leichnam für sich holen und in die Hand nehmen. In diesem Augenblick spricht Jesus sie mit ihrem Namen an: „Maria! Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf hebräisch zu ihm: Rabbuni!“ (Joh 20,16) In diesem kurzen Dialog geschieht Eins-werden. Da blitzt die Liebe zwischen ihr und Jesus auf. Sie möchte diese Liebe am liebsten festhalten. Sie umarmt Jesus. Doch der sagt: „Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen.“ (Joh 20,17) Jesus grenzt sich also ab. Er lässt sich nicht festhalten. Aber diese Abgrenzung zerstört nicht die Beziehung. Vielmehr ermöglicht sie eine Beziehung auf einer anderen Ebene. Im anderen ist immer etwas, das unserem Zugriff entzogen ist. Dieses Innerste, das auch in uns ist, diesen inneren Raum des Schweigens, der ist für andere unzugänglich, den dürfen wir getrost abgrenzen. Maria von Magdala fühlt sich von Jesus in Liebe angesprochen. Sie ist ihm begegnet. Sie hat eine neue Qualität von Beziehung erlebt. Diese macht sie glücklich und frei. Sie kann Jesus loslassen, weil das Wort der Liebe, das sie gehört hat, stärker ist als das Nein der Abgrenzung. Das Nein der Abgrenzung vertieft ihre Liebe.
Gefahren in der Liebe
Diese Erfahrung ist nicht ungewöhnlich: Freundespaare und Ehepaare erzählen oft, dass ihnen zuviel Nähe schadet. Sie benötigen immer wieder auch die Distanz. Sie müssen sich voneinander abgrenzen, sich loslassen, damit sie wieder neue Lusthaben, aufeinander zuzugehen. Wenn Paare zu nahe zusammen sind, nehmen oft auch die Aggressionen zu. Manche meinen dann, sie würden sich nicht genug verstehen. Sie haben den inneren Anspruch, sie müssten immer voller Liebe sein, wenn sie zusammen sind. Dass die Aggression ein Aufruf ist, sich den eigenen Raum zu reservieren, erkennen sie nicht. Zu sehr sind sie in ihrem Ideal von einer immer präsenten Liebe gefangen. Neben der zu großen Nähe lauert noch eine andere Gefahr in der Liebe: Es ist das Benutzen des anderen für mich selbst. Der Psychotherapeut Hans Jellouschek spricht in diesem Zusammenhang von „Ich-Erweiterung“. Ich sehe den anderen nicht in seinem Eigendasein, als den ganz anderen. Ich nehme ihn insofern war, als er mir hilft, zu mir selbst zu finden. Ich suche durch den anderen nur eine Erweiterung
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