Grenzen setzen – Grenzen achten
erkenne ich, ob ich da wieder meinen alten Mustern erlegen bin, vor allem dem Muster, es allen recht machen zu wollen. Wenn ich ein Anliegen im Team bespreche, dann kommen von den anderen oft Informationen, die mir klar zeigen, was da möglicherweise gespielt wird. Dann erfahre ich, dass die gleiche Gruppe schon diesen und jenen gefragt hat, ich erfahre, wie sie agiert und wir können überlegen, wie wir gemeinsam auf solche Spiele reagieren sollten. Im Telefonat hatte ich den Eindruck, es sei das Wichtigste von der Welt, diesen Vortrag oder Kurs zu halten. Sobald das Anliegen im Team besprochen wird, merken wir alle, wie unklar die Vorstellungen des Bittstellers wirklich sind und wie relativ sein Bedürfnis ist. Er wollte nur Druck ausüben und mir ein schlechtes Gewissen machen. In Wirklichkeit ist er sich selber nicht klar, was er eigentlich möchte. Ein anderer Ort, an dem wir die Anfragen von außen immer wieder einmal anschauen sollten, ist die Supervision. Indem wir einem anderen erzählen, wie wir mit unseren Terminen umgehen, merken wir, dass wir immer noch nicht klar und konsequent genug sind.
Kriterien der Klärung
Solche Strategien sind eine Hilfe, mich auch wirklich abgrenzen zu können, weil sie nicht zufällig und nur in einer bestimmten Situation anwendbar sind. Sie setzen eine grundsätzliche Klärung über das voraus, was ich eigentlich will und kann. Ohne Strategie bleibt der Wunsch nach der eigenen Abgrenzung oft im Vorsatz stecken, wird also nicht Realität. Freilich: nicht immer helfen Strategien. Und auch sie dürfen nicht verabsolutiert werden.
Auch Jesus musste die Erfahrung machen, dass seine Strategie der Abgrenzung kein voller Erfolg war. Markus berichtet: „Aber man sah sie abfahren, und viele erfuhren davon; sie liefen zu Fuß aus allen Städten dorthin und kamen noch vor ihnen an.“ (Mk 6,33) So wurde aus der Klausur mit den Jüngern und der Ruhepause nichts. Die Leute achteten die Abgrenzung Jesu nicht. Sie nahmen ihre eigenen Bedürfnisse für absolut. Sie wollten unbedingt diesen Jesus sehen. Und offensichtlich hatten sie Erfolg. Jesus hatte Mitleid mit den Leuten: „Denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange.“ (Mk 6,34) Auch er war also offensichtlich hin und her gerissen zwischen seinem Bedürfnis, mit seinen Jüngern allein zu sein, und dem Wissen um die wirkliche Bedürftigkeit der Leute, die eine innere Not zu ihm geführt hatte. Und er sah im Augenblick niemanden, der auf diese Not angemessen reagieren konnte. Er fühlte sich von Gott gedrängt, diesen Menschen die Augen für das Eigentliche zu öffnen und ihnen von einem Gott zu erzählen, der sie bedingungslos liebt. Er wollte ihnen einen Weg zum Leben eröffnen, weil er sah, dass sie sich sonst verirrten.
Vor dieser Spannung stehen wir immer wieder, wenn wir uns abgrenzen. Oft sind die Wünsche der Menschen, die etwas von uns wollen, ja durchaus berechtigt. Sollen wir nicht das eigene Bedürfnis vernachlässigen, um uns auf andere einzulassen, die unsere Hilfe wirklich brauchen? Solche Fragen kann man nicht einfach unterdrücken. Man muss sich ihnen stellen. Es ist aber dabei hilfreich, auf sein Gefühl zu hören: Macht es mich innerlich frei, mich von meinem eigenen Bedürfnis zu verabschieden und mich den Menschen zuzuwenden? Oder regt sich in mir Widerstand? Ahne ich, dass ich bloß ausgenutzt werde? Oder gerate ich in die Falle, dass ich mich selbst überschätze und meine, ich sei der einzige, der hier helfen kann? Antworte ich hier auf einen wirklichen Anruf Gottes? Oder identifiziere ich michvielleicht mit dem Archetyp des Propheten oder des Missionars oder gar des Erlösers? Glaube ich, dass die Leute mich brauchen, weil ich eine einzigartige Botschaft verkünde? Der Grat ist schmal zwischen dem notwendigen Hören auf den Anruf Gottes und einer möglichen Selbstüberschätzung, die Leute seien angewiesen auf meine Arbeit und auf das, was ich zu sagen habe. Gewissheit, ob ich richtig handle, werde ich nie haben. Mit dieser Unsicherheit muss ich leben. Bei mir selber führt das dazu, dass ich es aushalten muss, gelegentlich auch beschimpft zu werden: „Sie schreiben so schöne Bücher. Aber für mich haben sie keine Zeit. Sie sonnen sich lieber im Erfolg, als sich auf einen Menschen einzulassen, der wirklich in Not ist.“ Ich spüre, wie solche Sätze in mir Schuldgefühle hervorrufen möchten, auch wenn ich weiß, sie sind eine subtile Form von Machtausübung. Natürlich
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