Grenzenlos ermitteln - 23 Raetsel-Krimis
nur weil ich noch ein schlechtes Gewissen habe, wegen des Faustschlags damals in Weimar.«
»So ein schlechtes Gewissen hat auch seine Vorteile.«
Falls Sie jetzt nicht mehr wissen, um welchen Faustschlag es ging, kann ich Ihrer Erinnerung etwas nachhelfen. Damals, im September 2004 in Weimar während des Goetheglut-Falls, lernte ich Hauptkommissar Richard Volk kennen. Bei unserem ersten Aufeinandertreffen â ja, so kann man es tatsächlich nennen â, verpasste ich ihm aus Versehen einen Schlag auf die Nase, weil ich ihn für einen Verbrecher hielt. Er hat es mir längst verziehen, aber ich denke immer noch mit unguten Gefühlen daran.
Die StraÃen waren fast leer an diesem Samstagmorgen, 20 Minuten später stand ich vor dem Polizeipräsidium Frankfurt. Richard Volk hatte mir sogar einen Espresso organisiert, kein erstklassiger, aber besser als nichts.
Bitte wundern Sie sich nicht, dass ich schon wieder anfange, von Espresso zu reden. Er ist ein wichtiger Teil meines Lebens, wahrscheinlich bin ich sogar espressosüchtig. Ich sollte mal einen Suchtexperten fragen, ob es so etwas wie âºEspressoabhängigkeitâ¹ gibt. Vielleicht könnte man dieses Phänomen sogar nach mir benennen: das Hendrik-ÂWilmut-Syndrom.
Richard wartete, bis ich den Kaffee getrunken hatte. »Pass auf, im Nebenzimmer sitzt Percy Moosbacher.«
»Wie heiÃt der, Percy Moosbacher?«
»Na ja, offiziell heiÃt er Peter Moosbacher, aber sag das bitte nicht zu ihm, sonst rastet er wieder aus, das kostet nur Zeit. Er hat das Goethe-Manuskript verkauft. Angeblich vom groÃen Meister handgeschrieben.«
Ich musste unwillkürlich den Kopf schütteln. »Und an wen hat dieser Percy es verkauft?«
»An einen Graf Bodo von Wellstein, wohnt im Taunus. Beide bezeichnen sich als Goetheexperten â wie sollte es auch anders sein. Bis jetzt bin ich keinen Schritt weitergekommen, weil sie mir irgendwelche Goethedaten um die Ohren geworfen haben, die mir nichts sagen. Und bevor ich mich da tief einarbeiten muss, dachte ich â¦Â«
»Okay, ich möchte zuerst mit diesem Percy reden.«
»Willst du das Manuskript nicht sehen?«
»Später, das lenkt mich nur von den Tatsachen ab.«
»Gut, dann komm mit.«
Wir gingen in den Nebenraum. Percy Moosbacher war nicht unsympathisch. Durchschnittliche Kleidung, leicht gewellte blonde Haare, kein auffälliges Imponiergehabe.
»Das ist Herr Dr. Wilmut von der Uni Frankfurt«, sagte Hauptkommissar Volk, »unser Goetheexperte, er wird Ihnen jetzt ein paar Fragen stellen.«
Ich beobachtete Moosbacher genau. Bei dem Wort âºGoetheÂexperteâ¹ ging ein kurzer Ruck durch seinen Körper, doch er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen.
Wir setzten uns. Ich dachte an das Frühstück mit Hanna und legte sofort los: »Herr Moosbacher, ein handschriftliches Manuskript von Goethe wäre eine Sensation, also, woher haben Sie es?«
Er lächelte. »Vom Dachboden eines Bauern in NiederÂursel. Den Namen kann ich leider nicht preisgeben.«
»Warum?«
»Ich musste es ihm versprechen. Er ist bereits 83 Jahre alt und will kein groÃes Aufheben um die Sache machen, keine Presseleute und so.«
»Klingt nicht überzeugend. Wurde es bereits von einem Experten begutachtet?«
»Ja, von mir«, antwortete er. »Habe ich dem Hauptkommissar bereits gesagt.«
Sie können sich vorstellen, dass ich leicht grinsen musste.
»Welches Manuskript ist es denn?«, fragte ich.
»Die Wahlverwandtschaften.«
»Oh, là , là !«
Er lächelte erneut. »Sie wissen ja, die heilige Ottilie hatte es Goethe angetan, bereits 1770 bei einem Besuch des Odilienbergs. Er berichtet davon in Dichtung und Wahrheit.«
Ich merkte, dass er mich mit seinen Fachkenntnissen beeindrucken wollte. »Stimmt, fragt sich nur, ob Sie den Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit kennen.«
Er hob lässig die Schultern. »Natürlich, Herr Wilmut. Ich bin übrigens sehr froh, dass es ausgerechnet dieses Manuskript war, das ich fand.«
»Warum?«
»Weil ich es liebe. Diese Anspielung auf die Chemie, auf die Naturwissenschaften, Goethes heimliche Liebe. Wie elegant er es schafft, die Beziehung zwischen Ottilie, Charlotte, Eduard und dem Hauptmann als Gleichnis der chemischen Anziehungskräfte zu beschreiben, die ja natürliche Anziehungskräfte sind, ebenso
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