Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grenzfall (German Edition)

Grenzfall (German Edition)

Titel: Grenzfall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Kröger
Vom Netzwerk:
zu melden hatte. Schon gar nicht, wenn irgendeine Bananenrepublik billigeren Weizen lieferte.
    Als Uwe den Müllers vorschlug, an Jagdgäste zu vermieten, waren sie sofort dabei. Ein kleines Zubrot konnte hier jeder gebrauchen. Und dass seine Frau auch noch was dafür bekam, wenn sie die beiden Gästezimmer in Ordnung hielt, verstand sich von selbst. Wedemeier hatte sogar richtig was springen lassen, damit die Zimmer ein eigenes Bad bekamen, Kompletteinbauten aus Plaste wie in einer Schiffskabine. »Unsere Gäste brauchen ein Minimum an Privatsphäre, auch wenn sie das Authentische lieben«, sagte er. Das Wort »authentisch« konnte er gar nicht oft genug benutzen, der Westler. Und authentisch war es hier, kein Zweifel.
    Uwe merkte, wie seine Hand beim Schreiben leicht zitterte. Er war bis obenhin vollgepumpt mit dem Bohnenkaffee seiner Frau. Dass der Arzt ihr geraten hatte, auf entkoffeinierten Kaffee umzusteigen, interessierte sie nicht. Man musste ja nicht jede neue Mode aus dem Westen mitmachen. Kaffee bleibt Kaffee, basta.
    In seiner ordentlichen Handschrift, auf die er schon als ABV Wert gelegt hatte, trug er den einzigen Abschuss des vergangenen Tages ein. Die ganze Nacht waren sie unterwegs gewesen, ab Einsetzen der Dämmerung gegen zehn. Um Mitternacht war ihnen ein Rehbock vor den Lauf gesprungen, keine dreißig Meter Schussentfernung. Er kam aus dem Waldstück neben der Landstraße und zog direkt über die Wiese, auf der sie den Iltis geparkt hatten. Hajo, der Jagdgast, war zu langsam. Er legte nicht genau an und verfehlte. Uwe erlegte den Bock ohne Probleme. Danach schien sich das Wild woanders verabredet zu haben. Um sieben Uhr morgens machten sie Schluss, weil die Sonne schon wieder heiß vom Himmel brannte. Es waren Hundstage, und das bereits im Juni dieses Jahr.
    Zurück auf dem Hof, bot der alte Müller ihnen selbstgebrannten Wacholderschnaps in Wassergläsern an. Und Hajo sagte nicht nein. Einmal nicht und zweimal auch nicht. Seitdem schlief er seinen Rausch aus, und Uwe war ein paar Stunden zu Hause gewesen.
    Wortlos betrat der alte Bauer die Küche und schlurfte zum Waschbecken. Er wusch sich lange und umständlich die Hände, trocknete sie am Handtuch ab und trat an den Tisch. Uwe schob ihm, ebenfalls ohne Worte, einen Hundertmarkschein hin. Der Bauer ließ sich ächzend auf der Küchenbank nieder, der Schein verschwand in seiner Hemdtasche. Dann zog er aus der Schublade im Tisch einen speckigen Quittungsblock und einen Kugelschreiber. ›Kost und Logis‹ las Uwe im Schneckentempo verkehrt herum mit. Schweiß tropfte dem Alten von der Stirn auf das Papier. Draußen waren jetzt fast dreißig Grad. Viel zu heiß für die Jagd.
    Uwe beschloss, dem Westler einen Ausflug nach Stettin vorzuschlagen, bis es sich etwas abkühlen würde.

28. Juni 1992, Szczecin
Westpommern, Polen
    Hajo hatte Kopfschmerzen, es pochte oben links über der Stirn. Dieser verfluchte Fusel. Die Straße war auf den letzten paar Kilometern etwas besser geworden, doch jedes Schild erinnerte ihn daran, dass er hier endgültig im Osten war, ellenlange Worte ohne Sinn und Zweck. Die Russen hatten nach ’45 Polen aus dem Osten hier angesiedelt, die hatten mit der deutschen Geschichte und ihren Nachbarn hinter der Grenze nichts am Hut. So sagte man jedenfalls. Etliche seiner Jagdfreunde im Rhein-Main-Gebiet stammten ursprünglich von hier, und sie wollten ihre Ländereien immer noch nicht verloren geben.
    Sie waren nicht über die Autobahn nach Polen gefahren, wegen des ständigen Lkw-Staus am Grenzübergang Pomellen. Stattdessen nahm der einheimische Jagdführer direkt vom Zöllnerhof aus eine Landstraße, und sie überquerten die deutsch-polnische Grenze im kleinen Grenzverkehr. Ein paar Baracken für den Zoll, ein Schlagbaum, mehr gab es nicht zu sehen an der europäischen Außengrenze. Dahinter standen bunte Buden, an denen wie auf dem Jahrmarkt das Geld gewechselt wurde. Eins zu vier, das große Los für einen aus dem Westen.
    Die Straße nach Stettin war ein einziger lang gestreckter Polenmarkt zu beiden Seiten der Fahrbahn. An den Tankstellen sah Hajo die Trabbis Schlange stehen. Alte Frauen boten Würste an, Gemüse, Kleidung, sogar Hunde in Käfigen meinte er im Vorbeifahren entdeckt zu haben.
    Der Mann fuhr schweigend, er sprach nicht viel, sein Jagdführer. Überhaupt schienen sie es hier mit dem Reden nicht so zu haben. Hajo sah weiter aus dem Fenster. Die Marktatmosphäre wich langsam einem städtischeren Ambiente. Doch

Weitere Kostenlose Bücher