Grenzfall (German Edition)
nicht einmal das hob seine Laune. Erst der verpatzte Abschuss, so was war ihm seit Jahren nicht passiert. Dabei hatte sich das Tier geradezu präsentiert, er war sich seiner Sache einfach zu sicher gewesen. Dann der Fusel, und jetzt saß er hier mit diesem Stasi-Typen in Polen fest. Der konnte ja sonst was mit ihm anstellen, und seine undurchsichtigen Kumpane auf dem Zöllnerhof genauso.
Der Jeep hielt auf einem bewachten Parkplatz, und sie stiegen aus. »Hier ist die Altstadt.«
Hajo nickte. Baufällige Hansehäuschen lehnten in der staubigen Hitze aneinander, wie um sich gegenseitig aufrecht zu halten. »Gibt’s hier auch ein Restaurant, wo man gepflegt essen und trinken kann?« Es sollte gar nicht überheblich klingen. Aber der Ossi kriegte es natürlich in den falschen Hals. Warum waren die bloß so empfindlich? Am Ende hatten sie doch zu viel kommunistische Propaganda intus.
»Es gibt das neue Radisson Hotel hinter dem Bahnhof«, lautete die beleidigte Antwort.
Hajos Laune stieg um einige Grad. Radisson war ein guter Name, da konnte man nicht viel falsch machen. »Na, dann lass uns doch dahin spazieren, und ich spendiere ein Gläschen zum Wachwerden«, sagte er. Und ging einfach los in die Richtung, in die der Mann gewiesen hatte. Wie hieß er noch? Jahn? Der würde schon hinterherkommen. Zum ersten Mal hatte Hajo wieder das Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben.
28. Juni 1992, Szczecin
Der spinnt doch, dachte Uwe, während er diesem Hajo nachlief. Das war ja ein Bilderbuch-Kapitalist, der musste hier tatsächlich mit seiner Brieftasche beweisen, dass er der Größte war. Na, sollte ihm recht sein. Er musste den Tag herumbringen, und dann musste er dem Hajo irgendwas vor den Lauf kriegen, egal wie. Er brauchte seine Prämie, und was er vor allem brauchte, waren zufriedene Jagdgäste, damit Wedemeier nicht auf dumme Gedanken kam.
Das Radisson war Teil des neu gebauten Pazim-Komplexes. Selbst der Ostseekurier hatte darüber berichtet. »Die Polen kleckern nicht, sie klotzen«, lautete die Überschrift. In Vorpommern zerriss man sich gerne das Maul, ein bisschen Neid war auch dabei. Die Stadtoberen von Kollwitz hatten da einfach nicht das Format, um mitzuziehen. Und wenn die PDS einen Vorschlag machte, stimmte die CDU garantiert dagegen. Schöne Demokratie. Insgeheim fand er es ganz amüsant, sich so ein Luxushotel mal von Nahem anzusehen. Es kostete ihn schließlich keine müde Mark.
Hinter der Drehtür empfing sie angenehme Kühle. Hajo war plötzlich wie ausgewechselt. Hier gehörte er hin, das war sein Element. Selbst in Jeans und Polohemd war das jedem klar, auch dem Portier in seiner lächerlichen Lakaienuniform. Er begrüßte Hajo auf Englisch, und der schwadronierte, als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan. Uwe fühlte sich fehl am Platze. Er hatte es nicht so mit fremden Sprachen und fremden Ländern. Urlaub hatten sie immer auf einem Campingplatz an der Ostsee gemacht, und sein bisschen Schulrussisch hatte sich im Laufe der Zeit auch verabschiedet. Im Jahr nach der Wende hatte seine Frau vorgeschlagen, mal nach Mallorca zu fliegen. Uwe verspürte keinerlei Bedürfnis in dieser Richtung. Also hatte sich die Tochter erbarmt und war mit ihrer Mutter in den Urlaub gefahren. Und was brachten sie mit? Lächerliche Strohhüte und einen Sonnenbrand.
Hajo deutete auf die große Hotelhalle. »Wir gehen hier durch und dann ganz nach oben!« Zögernd folgte Uwe ihm zu den Fahrstühlen. Diese engen Kabinen machten ihn schwindelig. Verkrampft starrte er auf die Ziffern, bis sie bei zweiundzwanzig stoppten.
Das Panorama war wirklich großartig. Er trat an die Scheiben, die bis zum Boden reichten, dann wieder ein Stück zurück. Lieber Sicherheitsabstand wahren. Die Sicht reichte über das Haff bis nach Kollwitz.
»In welcher Richtung liegt deine Jagd?« Hajo stand neben ihm, ebenso ein Kellner, der darauf wartete, sie an einen der vielen freien Tische zu bringen.
Uwe brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. »Dahinten rüber«, murmelte er. Der Kellner setzte sich in Bewegung, und sie folgten ihm.
»Vielleicht sehen wir ja von hier oben endlich was von deinem Wild«, sagte Hajo und zwinkerte ihm tatsächlich zu.
Kaum saßen sie an ihrem Tisch, kamen zwei Polinnen von der Bar und setzten sich zu ihnen. Die rochen den reichen Westler natürlich hundert Meter gegen den Wind. Hajo schien das Spektakel zu genießen und schmiss großspurig eine Runde Sekt und Kaviar. Er redete wieder
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