Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grenzgaenger

Grenzgaenger

Titel: Grenzgaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
Vom Netzwerk:
fragte Toppe.
    «Ach, er hatte Ärger in der Schule heute … Ich komme gleich!», rief sie nach oben. «Seine Klassenlehrerin ist krank, und die Rektorin hat die Vertretung übernommen. Und da ist es heute zu einer bösen Szene gekommen.»
    Toppe runzelte die Stirn. «Was denn für eine Szene?»
    «Ach, die hat den Kindern gesagt, sie sollten ihre Mäppchen vom Tisch nehmen, und Christian hat gefragt, warum. Und sie hat geantwortet, weil sie das so wolle. Und da hat er gesagt, das sei aber doch keine Begründung.»
    «Womit er völlig recht hat», fand Sofia.
    «Natürlich hat er recht, aber der alte Drachen hat ihn dann gezwungen, sich vor die Klasse zu stellen und sich bei ihr zu entschuldigen und zu sagen: Ich war vorlaut und frech.»
    «Wie bitte?» Toppe lief hochrot an. «Hast du was unternommen?»
    Sie hob die Schultern. «Ich habe heute ein paarmal versucht, bei ihr anzurufen, aber sie war nicht da … Ich geh mal eben hoch.»
    «Das erinnert mich doch verdammt an meine Internatszeit», sagte Arend. «Wenn wir was ausgefressen hatten, mussten wir uns vor der ganzen Klasse auf einen Stuhl stellen und sagen: Ich bin die Schande der ganzen Schule, und ich schäme mich dafür.»
    Sofia schüttelte den Kopf. «Unglaublich! Nun ja, das ist schon ein paar Jahre her, aber heutzutage!»
    Gabi kam zurück ins Zimmer und legte Toppe die Hand auf den Kopf. «Lass gut sein, Helmut. Ich kümmere mich schon darum. Hol mal den Nachtisch.»
    Auch das Dessert war köstlich, ein schottischer Trifle, den Sofia mitgebracht hatte.
    «Meine Güte, wie viel Alkohol ist denn da drin?» Gabi kicherte. «Zwei Portionen davon, und man ist blau. Gib mir trotzdem noch ein Glas Wein, Arend.»
    «Ja, mir auch.» Toppe schob sein leeres Glas über den Tisch. Der Trifle hatte ihn mit einigem wieder versöhnt.
    «Ich war noch nie auf einer Vernissage», nahm er den Faden von vorhin wieder auf, «aber ich stelle mir vor, dass da doch ziemlich viel dummes Zeug geredet wird.»
    «Da kannst du sicher sein», stimmte Arend ihm zu. «Aber es macht schon Spaß, all diese komischen Leute zu beobachten, die sich dort herumtreiben.»
    «Und solche Leute hältst du freiwillig aus, Sofia?», fragte Gabi.
    «Ach, ich weiß nicht.» Sofia drehte das Weinglas auf dem Tisch zwischen ihren Fingern hin und her. «Mir macht das nichts aus. Mit zunehmendem Alter sehe ich die Menschen immer mehr wie Bücher.»
    «Wie Bücher?», fragte Toppe erstaunt.
    «Ja, manche sind langweilig, weil sie dich gerade nicht berühren, oder zu schwierig, weil du zu müde bist oder zu beschäftigt. Aber die meisten Menschen sind wie die Romane von Joyce. Ab und zu gibt es Stellen, die du auf Anhieb kapierst, und das erfüllt dich mit Glück. Meistens aber musst du zurückblättern, vielleicht sogar noch einmal ganz von vorne anfangen. Zu Ende lesen wirst du sie nie, und wenn, dann hast du das so als Pflichtübung hinter dich gebracht und nicht mehr darauf geachtet, ob du was kapierst.»
    Arend stupste ihr vorsichtig mit dem Zeigefinger auf die Nase. «Wenn du Bordeaux getrunken hast, wirst du immer so philosophisch.» Er meinte es nett.

[zur Inhaltsübersicht]
    Zwölf
    Das Klappern des Briefkastens weckte ihn. Er richtete sich halb auf und sah auf die Leuchtziffern des Weckers: zwanzig vor fünf. Das musste die Zeitungsfrau gewesen sein. Er drehte sich auf die linke Seite und versuchte, wieder einzuschlafen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Er spürte, wie er zu schwitzen begann, und legte sich auf den Rücken, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte ins Dunkel. Gabi atmete flach und ruhig neben ihm. Kühle Morgenluft kam durchs Fenster herein, alles war still, nur die Lämmer auf der Schafwiese seines Schwiegervaters gleich hinter der Terrasse blökten verschlafen.
    Schließlich stand er auf und tastete mit den Füßen nach seinen Pantoffeln. Er schlurfte zur Haustür, öffnete sie einen Spalt weit, nahm die Zeitung aus dem Briefkasten, ging in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine ein. Gabi hatte sie wie immer vor dem Zubettgehen mit Wasser und Kaffee gefüllt.
    Aus dem Küchenfenster blickte ihm sein Spiegelbild entgegen, nackt, hellhäutig und spärlich behaart, ein deutlich zu dicker Bauch. An den Füßen die blau-rot gewürfelten Filzpantoffeln, die ihm seine Schwiegermutter zu Weihnachten geschenkt hatte: eine lächerliche Gestalt. Er fröstelte. Auf dem Weg zum Bad schlug er den Lokalteil der Zeitung auf. Wie er erwartet oder vielleicht befürchtet

Weitere Kostenlose Bücher