Grenzgaenger
hatte, gleich auf der ersten Seite als Leitartikel:
DOPPELMORD IN BIGBAND DER KREISMUSIKSCHULE: Pressekonferenz der Polizei ließ viele Fragen offen.
Nicht zufriedenstellen konnte die gestrige Pressekonferenz der Kripo Kleve, in der es um die rätselhaften Morde an zwei Mitgliedern der Bigband der Kreismusikschule ging. Staatsanwalt Dr. Stein war ernsthaft bemüht, die Fragen der anwesenden Journalisten nach Tatumständen und möglichen Tatverdächtigen ausführlich zu beantworten. Dennoch blieb der Eindruck bestehen, dass der Kripo ein griffiges Konzept für die weiteren Ermittlungen noch fehlt.
«Griffiges Konzept», murmelte er, «schön formuliert», und ließ sich ein Bad ein. Zeit genug hatte er noch, und in der Wanne ließ sich gut nachdenken.
Berns hastete ein paar Meter vor ihm die Treppe zum Büro hoch. Er hatte Toppe augenscheinlich nicht bemerkt.
«Herr Berns», rief Toppe ihm nach und gab sich einen Ruck. Irgendwann musste es ja sein.
Berns blieb auf der obersten Stufe stehen und drehte sich langsam um.
«Ach, Herr Toppe. Morgen. Ich hatte Sie gar nicht gesehen.»
Er war ein schlechter Schauspieler.
«Morgen. Ich möchte kurz mit Ihnen allein sprechen.»
Berns runzelte die Stirn. «Bitte», antwortete er und wartete.
«Gehen wir ins Vernehmungszimmer», sagte Toppe und machte sich auf den Weg. Berns folgte ihm mit zwei Schritten Abstand.
Im Vernehmungszimmer herrschte Dämmerlicht. Die schmutzig grünen Vorhänge waren zugezogen, die Luft war staubig und verbraucht. Toppe öffnete die Gardinen und beide Fensterflügel.
«Setzen Sie sich doch», sagte er, als er sich wieder umdrehte.
«Danke», antwortete Berns spitz, «ich stehe lieber.»
«Gut.» Toppe lehnte sich gegen die Fensterbank. «Machen wir’s kurz und geradeaus: Ich bin mit Ihrer Art zu arbeiten nicht zufrieden.»
«Wie bitte?» Berns lief so plötzlich dunkelrot an, als habe man eine Lampe angeknipst. «Wollen Sie mir unterstellen, ich hätte gestern blau gemacht, oder was?»
«Ich unterstelle Ihnen nichts, Herr Berns. Und über Ihre Erkrankung rede ich gar nicht», entgegnete Toppe so sachlich, wie es ihm möglich war. «Es geht mir darum, dass Sie es in einer Zeit, in der es hier, weiß Gott, Arbeit für zehn gibt, vorziehen, in einem Vergnügungsausschuss zu sitzen.»
«Was wollen Sie damit sagen?» Berns brüllte.
«Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt.» Im gleichen Maß, in dem Berns’ Wut stieg, wurde Toppe ruhiger. «Die ganze ED-Arbeit gestern und vorgestern musste van Gemmern so gut wie alleine machen, und das in unserer augenblicklichen Situation.»
«Moment, Moment, jetzt aber mal langsam.» Berns war wieder leiser geworden und trat näher. «Werfen Sie mir etwa vor, dass ich nicht wie ein Irrer Überstunden kloppe?»
«Um Überstunden geht es hier gar nicht.»
«Doch, mir geht es aber darum. Jetzt passen Sie mal auf. Wissen Sie eigentlich, wie alt ich bin, he? Wissen Sie eigentlich, wie viel Jahre ich in diesem Scheißjob schon auf dem Buckel hab’, ja, wissen Sie das? Glauben Sie, ich könnte mir noch die Nächte so um die Ohren schlagen wie dieser junge Spund van Gemmern? Und wenn ich’s noch könnte», er grinste ölig, «wem wäre damit gedient? Sie kennen die Personalsituation genauso gut wie ich. Wenn wir hier alle so dämlich sind und Stunden runterreißen wie die Geisteskranken, wie sollen denn dann jemals neue Stellen genehmigt werden? Da geben Sie mir mal eine Antwort drauf, Herr Hauptkommissar.»
«Darum geht es doch gar nicht.»
«Doch, darum geht es ganz genau.» Berns wurde wieder lauter. «Und davon mal abgesehen: Wer hat denn das Labor so aufgebaut, dass Ihr Hätschelkind van Gemmern all die erstklassigen Auswertungen selber machen kann, he? Wer denn? Das war ich, Mann! Jahrelang hab ich mir die Finger wund geschrieben und bin von Pontius zu Pilatus gelaufen. Und wo wir gerade bei van Gemmern sind: Phantasie hat der Junge wahrhaftig genug, aber haben Sie den mal bei der Arbeit vor Ort gesehen, am Tatort, ja? Und wenn, können Sie das beurteilen?»
Toppe antwortete nicht, er wartete ergeben.
«Nee, können Sie nämlich nicht. Und ich will Ihnen was sagen: Erfahrung zählt. Erfahrung. Und wo wir gerade dabei sind: Wer ist denn draufgekommen, bei der Bruikelaer im Zimmer Fingerspuren zu nehmen? Van Gemmern? Nee, das war ich! Fingerspuren bei ’nem Selbstmord! Ist Ihnen gar nicht aufgefallen, dass das nicht normal ist, was? Kein Wort hab ich darüber von Ihnen gehört, Toppe.
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