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Grenzgänger

Grenzgänger

Titel: Grenzgänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Behrmann
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noch nicht geleistet. Also kann ich wohl kaum irgendwelchen Druck auf Sie ausüben.«
    Kay runzelte die Stirn. »Hat sich Frau Rot noch nicht bei Ihnen wegen der Rechnung gemeldet?«
    Agnes sah ihn fragend an. »Wer?«
    »Frau Rot. Unsere Sekretärin.« Es klang lahm. Er biss sich auf die Zunge.
    Agnes schüttelte den Kopf. »Nein, bisher hat sich noch niemand bei mir gemeldet.« Sie lachte ein wenig nervös. »Eigentlich hatte ich fast erwartet, dass irgendwann Ihr Partner vor der Tür steht und es höchstpersönlich abholt.«
    »Sie unterschätzen Feng.«
    »Es ist schwer, ihn kennenzulernen«, warf sie ein. »Er ist so… groß.«
    »Und breitschultrig und in etwa so gebaut, dass er mit Leichtigkeit einen Kleinwagen von der Straße schieben könnte. Ich weiß.« Kays Stimme klang sanft, trotz des Tadels darin. Er lächelte flüchtig. »Das gehört dazu. In unserem Geschäft ist Schein sehr viel wichtiger als Sein.«
    »In Ihrem Geschäft«, sie rollte die Worte auf ihrer Zunge. »Eigentlich weiß ich gar nicht so genau, was Sie tun oder was Sie sind. Schwester Marie hat mir damals nur gesagt, dass Sie sich mit Vampiren und ähnlichem auskennen.«
    »Und das hat Sie nicht stutzig gemacht?«
    Agnes lächelte und sah auf ihrer beiden Füße, während sie gingen. »Nein. Ich denke, irgendwie war es mir schon länger klar, dass ich an mehr glaube, als nur an die Wissenschaft. Bevor ich mit Schwester Marie sprach, habe ich auch lange mit mir selbst gehadert. Immerhin musste ich mich selbst erst davon überzeugen, dass es tatsächlich kein normaler Irrer ist, der hinter mir herschleicht.«
    Kay sah fasziniert auf die zierliche Frau an seinem Arm. Sie schien all das mit einer plötzlichen Selbstverständlichkeit zu sehen, die ihn erstaunte. Noch vor nicht einmal einer Woche hatte sie in seinem Büro gesessen und sich benommen, als würde sie jeden Augenblick aus dem Fenster springen. Jetzt aber sprach sie über ihren damaligen Zustand, als wäre es eine Krankheit, die sie erfolgreich überstanden hatte.
    »Was hat Sie überzeugt?«, fragte er.
    Sie hob den Blick wieder und sah ihn an. »Ich denke, mein Vertrauen in mein Bauchgefühl.« Agnes lächelte. »Wie Sie ja schon so treffend festgestellt haben, bin ich praktizierende Christin. Und in diesem Glauben geht es stark um das innere Gefühl. Wenn man darauf vertraut, wird einiges einfacher.«
    »Und jetzt ist es einfacher?«
    »Nun ja, jetzt habe ich zumindest jemanden, der mich nicht für verrückt hält. Und so kann ich auch davon ausgehen, dass Sie mir helfen werden. Zu denken, ich sei wahnsinnig, war wesentlich schlimmer. Jetzt hat das, wovor ich Angst habe einen Namen. Das ist mehr, als ich noch vor ein paar Wochen zu hoffen gewagt hätte.«
    »Es ist wirklich erstaunlich, wie gelassen Sie mittlerweile darauf reagieren.« Kay sah wieder auf Agnes. Das Licht der Straßenlaternen ließ ihr braunes Haar glänzen, ebenso wie die dunklen Augen. Von ihr ging eine eigentümliche Ruhe aus. Sie senkte verlegen den Blick und befeuchtete sich abwesend die Lippen. Es verlieh ihrem Mund einen leichten Schimmer, den er ganz bezaubernd fand. Kay musste ein Schmunzeln unterdrücken.
    »Wie ich schon sagte, sich an den Gedanken zu gewöhnen, wahnsinnig zu sein, war schlimmer. Es gibt andere Dinge und Welten neben der unseren. Das ist in Ordnung, im Endeffekt kommt ja doch wieder alles zusammen. Sie sind genauso Teil des Hier und Jetzt wie ich.«
    Kay lächelte und spürte, wie etwas von seiner Spannung schwand. »Wie philosophisch.«
    Sie lachte. »Das sollte es nicht werden, entschuldigen Sie bitte.«
    Agnes rückte etwas näher und er merkte, dass sie fror. Sie hatte wohl den Wind unterschätzt.
    Kay löste sanft seinen Arm und legte ihn um ihre Schulter, um sie näher an sich zu ziehen. Sie schien es nicht unangenehm zu finden und Kay genoss, für einige Minuten an nichts zu denken. Gar nichts. Im Augenblick genügte es ihm vollkommen, Agnes an seiner Seite zu haben und mit unbestimmtem Ziel zu wandern. Ihre Ruhe übertrug sich auf ihn, und er verspürte das erste Mal seit Jahrhunderten wieder den Wunsch, eine Frau nah bei sich zu haben. Er blieb stehen und sah auf Agnes herunter, die seinen Blick erwiderte. Es lag Vertrauen darin. Ging es ihr ähnlich? Er konnte es nicht genau sagen. Der Wunsch, ihren glänzenden kirschroten Mund zu küssen, war stark geworden, zu stark. Ein solches Verlangen hatte er vergessen. Sein Mund näherte sich ihrem und Agnes ließ sich willig

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