Grenzgänger
Spiegelbild.
Da! Ich hatte das Wort zum ersten Mal gedacht. Vampir. Ich war kein Vampir. Konnte ich gar nicht sein. Was sollte denn passiert sein? Ich hatte in meinem ganzen Leben noch keinen Vampir zu Gesicht bekommen und Samhiel war, laut Aussage des paranormalen Netzes, ein Engel und kein Vampir.
Oder hatte er das Netz manipuliert? Aber er hatte es doch selbst auch gesagt. Außerdem hatte er mich geschlagen, nicht gebissen.
Ich fuhr mir über das Gesicht und schluckte abermals, aber da war kein Blut mehr. Der Umstand machte mich unruhig.
Ich musterte mich. Vorsichtig öffnete ich wieder den Mund und sah in den Spiegel. Den Kopf hochgezogen und den Mund sperrangelweit geöffnet, ging ich so nah an die Oberfläche heran, dass mein Atem das Glas beschlug. Mit einem ähnlichen Gesichtsausdruck, als säße ich beim Zahnarzt, begutachtete ich meine neu gewonnenen Anhängsel. Die Zähne im Oberkiefer waren noch immer so spitz, wie ich sie gerade gesehen hatte und auch ihre Pendants im Unterkiefer, wiesen ein bis zwei Zentimeter mehr auf, als üblich.
So musste ich der Sache wohl im wörtlichen Sinn ins Auge sehen. Ich war ein Vampir und hatte gerade gezahnt. Glückwunsch, Feline!
Der Gedanke war so absurd, dass ich anfing zu lachen. Ich lachte, bis mir die Tränen kamen. Nach einer Weile kamen sie nicht mehr vom Lachen.
Samhiel. Ich musste Samhiel finden. Irgendetwas hatte er mit mir angestellt und es war etwas, was ich in jedem Fall wieder rückgängig machen wollte.
Ich nahm mir vor, im Internet nach seinem Aufenthaltsort suchen, bis mir einfiel, dass der Schlüssel mit der Schrift im Büro lag.
Ich sah nach draußen und blickte in das übliche Bild, dass meine Aussicht bot, wenn es Nacht war. »Oh Gott«, murmelte ich und griff nach meiner Jacke.
»Was… Feline, warte!«
Ich zuckte zusammen, als sich die kindliche Stimme aus dem Wohnzimmer meldete. Mein Hausgeist! Den hatte ich komplett vergessen. Die Jacke noch in der Hand ging ich wieder zurück. Der Ficus stand auf dem Tisch, wo ich ihn zuletzt hingestellt hatte. Er sah so aus, als würde er Wasser brauchen. Noch während ich das dachte, fing es an zu regnen. Über mir.
»Was ist das denn?« Der Ficus wirkte amüsiert. Ich eher angepisst. »Regen«, knurrte ich. »Ist einfacher als duschen.«
»Interessant. Ich wusste nicht, dass du das kannst.«
»Ich bis vor einigen Minuten auch nicht.«
»Willst du es nicht abstellen? Du bist schon ganz nass. Und ich sehe, dass du keinen BH trägst.«
»Was?« Ich sah runter und presste die Jacke vor meinen Brustbereich. Der Ficus klang jetzt so, als würde er breit grinsen. Hinterhältiges Mistding.
»Stell es ab!« Dieses Früchtchen hatte auch noch die Ruhe zu lachen.
»Ich kann nicht!«
»Dann schick es wenigstens zu mir rüber. Ich brauche auch mal wieder Wasser.«
»Mann, ersauf drin!«, donnerte ich los und tatsächlich ergoss sich die gesamte Wasserflut über die Pflanze, anstatt über mich. Mein Hausgeist schrie gequält auf und ich erschrak.
»Aufhören!«, schrie ich den Regen an und mit einem Schlag war es vorbei. Nur die Lache um mich und den Wohnzimmertisch zeugte noch von dem kleinen Kunststück.
»Bitte, gieß das Wasser aus«, jammerte mein Ficus und reflexartig nahm ich den Blumentopf hoch und trug ihn ins Badezimmer.
Das Waschbecken war noch immer mit Blut bespritzt, das sich rosa färbte, als ich das überschüssige Wasser aus dem Topf goss. Zusammen mit der gelockerten Erde aus dem Topf, die jetzt auch ins Becken fiel, wurde eine äußerst eklige Mischung daraus.
»Besser«, murmelte das Bäumchen erschöpft und ich stellte es auf dem Toilettendeckel ab.
»Kann ich sonst noch was tun?«
»Nein, geht schon. Werd erst einmal selbst trocken, sonst darf ich mir von Arien etwas anhören, weil du dich erkältet hast«, schniefte es.
»Ich bin ja selbst schuld. Wenn. Denke ich.« Ich fuhr mir durch die nassen Haare und dann über mein Gesicht.
»Naja, der Regen kam schon von dir, glaub ich,« stimmte mein blättriger Hausgeist zu.
Ich setzte mich auf den Wannenrand. »Glaube ich auch.« Eine Weile schwiegen wir beide, wobei ich immer wieder zu dem triefendem Bäumchen sah, das nun wirklich mitleiderregend wirkte. »Sag mal, hast du einen Namen?«, fragte ich.
»Nein. Eigentlich nicht. Zumindest hat mir keiner einen gegeben.«
»Auch meine Mutter nicht?«
Der Ficus schien kurz nachzudenken. »Arien nannte mich immer ›mein Kleines‹ oder ›hübsches grünes
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