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Grenzgänger

Grenzgänger

Titel: Grenzgänger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Behrmann
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Kind‹.«
    »Poetisch.«
    »Findest du?«, fragte er.
    »Schon.« Ich stand auf und begann, mir mit einem Handtuch die nassen Haare trocken zu rubbeln. Sowohl das Bad als auch das Wohnzimmer sahen ohnehin schon aus, als wäre irgendetwas explodiert, daher warf ich das feuchte Handtuch einfach über den Ficus, der lauthals protestierte. Seelenruhig zog ich mich aus und wickelte mich in mein großes verwaschenes Strandtuch, ehe ich meinen Hausgeist wieder von seinem feuchten Gefängnis befreite.
    »Was sollte das?«
    Ich setzte mich wieder auf den Wannenrand. »Ich wollte mich umziehen und mag keine Spanner.«
    Der Baum schnaubte. »Entschuldige bitte, aber wie soll ich spannen? Und warum?«
    »Schon mal den Witz ›sich einen Ast wachsen lassen‹ gehört?«
    »Willst du jetzt unter die Komiker gehen?«, fauchte der Hausgeist.
    Ich lächelte. »Entschuldige. Also heißt das, du kannst nichts sehen?«
    »Nicht im üblichen Sinne. Ich nehmen Präsenzen wahr, Temperaturen, solche Dinge.«
    Nachdenklich sah ich zur Tür. »Dann hast du doch sicher auch mitbekommen, was heute Abend hier los war, oder?«
    »Meinst du das, was vor oder nach dem Gespenst in der Wand passierte?«
    Unwillkürlich schauderte ich. »Danach, Kleiner.«
    Der Baum schüttelte sich abermals und kleine Tröpfchen flogen mir entgegen. Diesmal unterstellte ich ihm keine Absicht. Er wirkte eher ratlos.
    »Der Engel war bei dir. Ihr wart auf der Couch und du warst gerade dabei ihn zu bespringen.«
    »Hey!«
    »Aber dann veränderte sich irgendetwas im Raum. Du hast laut geschrien. Ich bekam Angst, aber bevor ich helfen konnte, hat mich irgendetwas ausgeknockt.«
    »Du weißt also auch nicht, was dieser Kerl mit mir angestellt hat?«
    »Leider nicht.«
    Ich kaute auf meiner Unterlippe herum, ließ es aber ganz schnell wieder, als sich meine neuste Errungenschaft im Bereich der Zahntechnik wieder in Erinnerung brachte. Ich hatte mich wieder geschnitten und saugte an der kleinen Wunde. Dann musste ich schlucken. Aus mehreren Gründen. Der, der mich am meisten aus dem Tritt brachte, war, dass mir das Gefühl von Blut auf der Zunge, der schwere Geschmack, ein ungeheuer befriedigendes Gefühl gab.
    Ich hörte sofort auf an mir selbst zu nibbeln.
    »Feline, irgendetwas stimmt hier nicht. Ich weiß nicht was, ich bin noch zu jung, aber irgendjemand muss dir helfen.« Zum ersten Mal, seit der Ficus angefangen hatte mit mir zu sprechen, wirkte er ernstlich besorgt. Wer konnte es ihm übel nehmen? Ich jedenfalls nicht; mir ging es kaum besser.
    Vorsichtig nahm ich das Bäumchen hoch. »Ich weiß schon, an wen wir uns wenden.«

    Der Weg ins Büro war lang. Kay musste zugeben, dass die Fahrt in dem Taxi immer unangenehmer wurde, je länger sie dauerte. Er versuchte, sich auf die vorbeihuschende Landschaft zu konzentrieren, aber er sah nur Schlieren von Licht und Grau. Er massierte sich mit den Fingern über den Nasenrücken und zuckte zusammen, als plötzlich ein zarter Duft seine Nase streifte. Agnes.
    Etwas von ihrem Parfüm war noch an seinem Ärmel und mit ihrem Duft war plötzlich ihre Präsenz deutlich spürbar. Er sah nach vorne zum Fahrer, aber der gehörte nicht zu der Sorte, die sich hartnäckig mit dem Fahrgast unterhalten wollten. Kay lehnte sich mit dem Hinterkopf gegen das Polster. Agnes hatte etwas an sich, was er kannte. In dieser Welt, die ihm selbst nach mehreren Jahrhunderten noch fremd war, hatte er tatsächlich etwas von dem Gefühl seiner alten Heimat wiedergefunden. Der Gedanke faszinierte ihn, machte ihn aber gleichzeitig misstrauisch.
    Er hatte sich seit Ewigkeiten nicht mehr sicher fühlen können. Der Krieg war kurz nach seiner Geburt ausgebrochen. Die Fey waren nicht bekannt dafür, besonders großzügig mit Gaben zu sein. Egal, was man bekam, man musste immer einen Preis zahlen. Und der Krieg hatte das weiter ausgeprägt. Wenn er sich jetzt in Agnes’ Nähe wohlfühlte, konnte das nur bedeuten, dass sie dafür etwas von ihm nehmen würde. Etwas Wichtiges. Er konnte sich einfach nicht darauf einlassen.
    Die Enge des Wagens wurde plötzlich zu viel; er konnte seinen Gedanken nicht entkommen. »Anhalten!«
    Der Fahrer stieg erschrocken auf die Bremse. »Was soll das?«, schnauzte er und drehte sich um.
    Kay fuhr sich über die Stirn. Wortlos und ohne auf das Schimpfen des Fahrers zu achten, drückte er ihm einen Zwanzigeuroschein in die Hand. Dann stieg er aus, schlug die Tür zu und rammte die Hände in die Manteltaschen. Den Rest des

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