Grenzgänger
seiner Welt verbrannte das Holzkreuz seine Haut. In seinem Glauben durfte er es nicht berühren.
Benedicta tu in mulieribus
Ein Ave Maria und eine Bitte. Eine Bitte um Glauben.
et benedictus fructus ventris tui, Jesus
Ein Ave Maria und eine Bitte um Hoffnung.
Sancta Maria, Mater Die
Ein Ave Maria und eine Bitte um Liebe
Ora pro nobis peccatoribus, nunc et in hora mortis nostrae
.
Ein Rosenkranz und ein Wunsch. Der Wunsch, heimkehren zu dürfen.
Amen
.
Der Rosenkranz fiel mit dumpfem Pochen auf den Boden. Roumonds Finger hatten ihn nicht mehr halten können. Die Perlen darauf waren abgewetzt. Braune Farbe splitterte von den Holzkugeln, als sie auf den Boden aufschlugen. Asphalt, ohne jede Abdeckung, weder Laminat noch Teppich. Passend für jemand wie ihn.
Roumond hatte sich diesen Kellerraum selbst ausgesucht. Hier war es feucht, kalt. Es fehlte nur noch ein Sarg, um das Ambiente des vor-sich-hinmodernden-Vampirs zu vervollständigen.
Roumond hatte keinen Sarg; er war nicht einmal bestattet worden. Etwas in ihm hatte sich dagegen gesträubt. Auf dem Friedhof hätte er einem Toten seine letzte Ruhestätte stehlen müssen, und der Kauf eines Sarges ohne eine Beerdigung hätte nur Fragen aufgeworfen. Er hätte sich mit der Welt draußen beschäftigen müssen.
Roumond wusste, dass er noch nicht soweit war. Achtzig Jahre lang hatte er versucht, sich davon fernzuhalten. Und das würde auch so bleiben. Zumindest solange, wie er noch von dieser Welt verstoßen war.
Er gehörte nicht mehr dazu. Seit Inés…
Roumond beugte sich zu dem Rosenkranz. Er musste sich nicht tief beugen; er kniete. Die Kälte und Feuchtigkeit des Betonlochs spürte er nicht mehr. Was er spürte, war das Holz. Es verwandelte sich unter seiner Berührung in glühendes Metall. Es brannte, aber der Vampir hielt es fest. Der Schmerz war ein Fixpunkt; der ihm half sich zu konzentrieren. Es war wichtig, dass er sich konzentrierte. Das Ziel durfte er nicht vergessen. Wenn er wankte, bekam es ihn.
Roumond schloss die Augen. Er durfte es nicht zu nah an seine Gedanken kommen lassen. So etwas lockte es nur an. Der Vampir biss sich auf die Unterlippe. Die zeigte, trotz seiner Selbstheilungskräfte, bereits viele Wunden. Das Fleisch konnte nicht so schnell heilen, wie er hineinbiss.
Er lauschte. Dieser verdammte Drache! Dieses Tier! Das waren sie alle – Tiere. Nur deswegen hatte er es in dem anderen Raum hören können. Weil er ein Tier war!
Roumond schloss alles um sich herum aus. Er war kein Tier. Er würde nicht wie eine Ratte in ihrem Loch kauern und auf jeden Laut seines Peinigers horchen.
Er presste den Rosenkranz gegen seine Stirn. Der Schmerz verlagerte sich von der Hand in den Kopf, aber so konnte er seine Gedanken wegbrennen. Das Wichtige wieder vor seinem inneren Auge sehen.
Inés. Ja, Inés.
Ihr Gesicht war der Punkt, auf den er sich konzentrieren konnte. Ihr rundes, kleines Gesicht. Sie hatte ihn niemals mit Furcht oder Angst angesehen.
Damals war er Jean Roumond gewesen. Jean Roumond der Schreinermeister. Selbst im Anbruch des jungen Jahrhunderts war es ein schwerer Beruf gewesen, aber er hatte gut gelebt. In seinem Dorf hatte es immer jemanden gegeben, der Holzwerkzeug oder Möbel brauchte. Roumonds Name war bekannt für die schönen, geschnitzten Hochzeitstruhen aus seiner Werkstatt. Der Geruch von Holz, das leichte Dämmern der Sonne durch die Fenster seiner Werkstatt… Damals hatte er sich noch nicht vor dem Sonnenlicht verstecken müssen. Damals war er noch in die Kirche gegangen. Bei dem Gedanke entrang sich ihm ein Seufzen. Jeden Sonntag hatte er seine Tochter Inés bei der Hand genommen und war mit ihr die staubige Strecke bis zum Marktplatz gegangen, wo die Glocken bereits läuteten, um die Gemeinde zu sich zu rufen.
Inés hatte das Läuten geliebt. Meist war sie schon vor ihm wach gewesen und zu ihm ins Bett gekrochen, um ihn zu wecken.
Seit dem Tod seiner Frau war die andere Seite der Schlafstatt leer gewesen und Roumond hatte es immer wieder überrascht, wie viel heller das gesamte Schlafzimmer wirkte, wenn Inés eingetreten war.
Selbst der lange Abschied ihrer Mutter, die an Krebs starb, hatte das Lachen des Mädchens nicht ersticken können. Eine Zeitlang war es leiser geworden, aber immer war es da. Roumond hatte es über die Trauerzeit hinweg geholfen.
Vielleicht hatte er da bereits begonnen, den Glauben zu verlieren. Vielleicht war es einfach nur Inés kindliche Hingabe an die Kirche gewesen, die ihn
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