Grenzgänger
Anhänger.
Ich nahm die Kette an mich und Agnes schien froh zu sein, das Schmuckstück von der Hand zu bekommen. Rasch zog sie sie wieder zurück und ballte sie zur Faust.
Ich hielt die Kette hoch und betrachtete den Anhänger. In der Phiole glitzerte etwas golden. Ich kniff die Augen zusammen und führte ihn näher an mein Gesicht. Dünne Fäden… nein, Haare.
»Was ist das?« Ich konnte mit dem Schmuckstück nichts anfangen. Es war ein wenig makaber und in meinen Augen kitschig. Etwa wie die Freundschaftsringe aus meiner Kindheit.
»Er … er hat es dagelassen.«
Meine Augen wanderten von dem Anhänger zu Agnes. »Wer?«, fragte ich nach.
»Der Vampir. Kay hatte gesagt, dass es vorbei wäre, aber heute Abend fand ich das auf dem Bett.« Agnes klang, als würde sie mit Mühe die Tränen zurück halten.
»Woher wissen sie, dass es von ihm ist?«
Sie legte den Kopf schief. »Wer sollte es mir sonst auf das Kissen legen? Ich habe …« Sie stockte. »Ich habe keinen Kontakt zu Männern und schlafe allein.«
Ich ließ die Kette sinken und nickte unmerklich. Was für eine dumme Frage.
»Ihnen ist aber nichts weiter passiert, oder?«
Agnes schüttelte den Kopf.
Ich wollte sie weiter trösten, als Kay durch seine Ankunft das Gespräch störte. Agnes entspannte sich merklich. Ich stand auf und ging ihm entgegen.
Kay konnte meinem Blick in den ersten Sekunden nicht standhalten. Er begrüßte mich mit einem gemurmelten »Hallo«, ehe er sich Agnes zuwandte und ihr die Hand schüttelte. »Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich hatte gedacht, dass ich Sie hier im Büro nicht mehr sehen würde«, sagte er sanft.
»Das hatte ich ehrlich gesagt auch«, erwiderte Ages. »Aber leider ist etwas passiert.«
»Etwas Schlimmes?« Kay sah erschrocken aus. Ich fragte mich, was zwischen den beiden noch so vor sich ging.
Agnes griff nach dem Schmuckstück und berührte es dabei so wenig wie nur möglich. Als Kay es sah, wurden seine Augen groß. »Verdammt!«
Agnes zuckte unter dem Fluch zusammen. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Kennst du es?«
Kay, der wohl für einen Augenblick vergessen hatte, dass ich da war – und ich sah ihm deutlich an, wie gerne er das vergessen hatte – blickte mich an. Er hielt mir die Kette hin. Als ob ich schuld daran war, dass er es besaß. »Es gehört Feng«, sagte er.
»Feng war in Agnes Schlafzimmer?«
»Nein. Feng hat es von mir bekommen.« Kay rieb sich mit einer Hand über die Stirn. »Das bedeutet… Roumond hat ihn.«
Agnes hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Ich gefror regelrecht. Roumond. Roumond, dieser verdammte Mörder.
»Was will er von ihrem Partner?«, brachte Agnes heraus.
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Kay. »Aber wenn er das hier bei ihnen platziert hat, will er uns wissen lassen, dass Feng bei ihm ist.«
»Und was haben wir davon?!« Ich wurde gegen meinen Willen laut. Aber der Name, dieser verdammte Name, ließ mich nicht mehr klar denken.
Kay winkte ab. Etwas hatte ihn hoffnungsloser gemacht – er hatte an diese Phiole Hoffnungen gehängt. Die Frage war nur, welche Art von Hoffnung.
Ich ging zur Garderobe und streifte meinen Mantel über. »Bring Frau Marberg irgendwohin, wo dieser Mistkerl sie nicht findet«, sagte ich dabei, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass ich gerade mit meinem Chef sprach.
»Wo willst du hin?« Kays Stimme verriet Unsicherheit. Mich freute das nicht so sehr, wie ich vor ein paar Tagen noch gedacht hätte.
»Ich gehe noch einmal zum Lagerhaus. Irgendetwas muss dort sein.«
Bevor ich den Mantel ganz überstreifen konnte, nahm Kay ihn mir ab und half mir hinein. Die Geste verwirrte mich, mehr noch, als er sich zu mir herunter beugte. »Warte dort auf mich. Geh nicht hinein! Es wäre unüberlegt.«
»Ich kann auf derartige Hinweise von dir verzichten!«, zischte ich.
»Ich weiß«, lenkte er ein. »Und du hast jedes Recht dazu. Aber um deiner selbst willen, Feline – warte vor dem Lagerhaus. Nur solange, bis ich nachkomme«
Ich schloss den Mantel und verließ das Triskelion-Büro ohne Kay eine eindeutige Antwort zu geben.
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Kapitel 22
Die Nacht war still, lediglich das leise Reiben von Holz auf Haut war zu hören.
Ave Maria gratia plen
Kleine Holzperlen an einer Kette, ein Holzkreuz an ihrem Ende. Ein Rosenkranz. Jede Perle ein Gebet, jedes Gebet ein Schritt zurück.
Dominus tecum
Auf der Stirn des Vampirs stand Schweiß. In
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