Grenzgang
hoffentlich ohne das Bedürfnis nach einer weiteren Demonstration missverstandener Männlichkeit.
Das Heim der Preissens strahlt Wärme und Gediegenheit aus, verrät einen Sinn für Farben und den gelegentlichen Hang zum touch too much , kurz: Das Haus ist so eingerichtet, wie Frau Preiss sich kleidet. Wohlstand der harmonischen Art füllt die Räume, nicht von allem das Neueste und Beste, sondern was sich bewährt hat im Lauf der Jahre, was Gefallen erregt und Vertrauen erweckt und dann gekauft wird, ohne aufs Preisschild zu schauen. Kein Luxus, der den Verdacht aufkommen lässt, hier werde ein Ersatz gesucht für innere Leere. Keine Polstermöbel, auf denen sich weicher schweigen lässt.
Sie fühlt sich so lala. Ist nicht ganz sicher, was sie hier soll. Würde gerne entspannter sein, als sie ist.
Zurück am Tisch gießt sie sich einen Schluck Sekt nach, sieht das Licht in der Küche anspringen und kurz darauf Karin Preiss im hellen Hosenanzug von vorher durch den verglasten Durchgang kommen, der Wohn- und Essbereich voneinander trennt. Außer ihrem Glas hat sie eine Flasche Rotwein in der Hand und hält Kerstin das Etikett entgegen wie eine Polizeimarke.
»Wenn’s Ihnen recht ist, machen wir den mal auf. Bei so viel Sekt denk ich sonst noch, es wär Silvester.«
»Gerne.«
»Werden Sie an Silvester auch immer so sentimental?«
»Manchmal.« Sie hält das für keine sehr taktvolle Frage an die Adresse einer alleinstehenden Frau, aber sie beginnt sich an Frau Preiss’ gelegentliche Gedankenlosigkeiten zu gewöhnen. Verglichen mit Anitas subtilen Gemeinheiten richten die ohnehin nur geringen Schaden an. Sie ist immer noch sauer wegen des Parfüms. Jedes Mal steht sie im Bad und muss sich verbieten an dieser Sommerlandschaft aus Duft und Versprechen zu riechen. Und jedes zweite Mal bricht sie das Verbot. Ist nur nocheine Frage der Zeit, bis sie sich das verlogene Gemisch auf die Haut stäuben wird.
»Ich immer«, sagt Frau Preiss. »All die Jahre, die Zeit und der Alkohol natürlich, würde mein Mann sagen. Ich hab sowieso nah am Wasser gebaut, immer schon, und wenn ich was trinke … Das sag ich jetzt auch, weil es erst halb elf ist und Sie möglicherweise noch Zeugin werden meiner Tendenz zur Rührseligkeit. Können Sie das Ding hier bedienen?« Zusammen mit der Flasche reicht sie Kerstin einen metallenen Korkenzieher, der fast genauso schwer ist wie die Flasche selbst.
»Also rührselig wirken Sie auf mich nicht, aber wir können gerne Tee trinken zwischendurch. Ich bin den Alkohol auch nicht mehr gewohnt.«
»Kommt nicht in Frage. Der freundliche Portugiese hier ist zehn Jahre alt, der hat lange genug auf seinen Auftritt gewartet.« Frau Preiss greift entschlossen nach einem Cracker und sieht Kerstin beim Öffnen der Flasche zu. »Irgendwie machen Sie in allem einen sehr patenten Eindruck, wenn ich das sagen darf.«
»Und wissen Sie auch, woher das kommt?«
»Nein, ich … doch.« Frau Preiss hebt eine Hand und nickt einsichtig. »Sehen Sie, ich bessere mich, ich versuche es zumindest. Aber ich könnte mir vorstellen, dass Sie auch vorher schon so patent gewesen sind, schon immer wahrscheinlich. Ist schließlich eine Frage der Persönlichkeit.«
»Ich hab auch vorher schon alleine gewohnt. Als Studentin. Oder nicht alleine, aber jedenfalls ohne Mann.« Mit einem Plopp öffnet sie die Flasche und stellt sie auf den Tisch, beginnt den Korken aus dem Öffner zu drehen.
»Sie haben studiert?«
»In Köln.«
»Kein Witz?«
»Lang, lang ist’s her. Sportwissenschaft, mit dem Schwerpunkt Tanz.«
»Bis zum Abschluss?«
Kerstin nickt und kann nichts tun gegen das Gefühl vonStolz, das in ihr aufwallt. Will auch nichts tun dagegen. Sie besitzt ein Diplom. Nicht, dass sie je etwas draus gemacht hätte, aber das ist ein anderes Thema, und an der Tatsache ändert es nichts. Es steht sogar ein ›Sehr gut‹ drauf.
»Ich bin baff.« Einen Moment lang sieht Frau Preiss sie aus großen Augen an. Perfekt aufgetragener Lidschatten im selben silbrig schimmernden Kobaltblau wie ihre Ohrringe. Schließlich steht sie auf und holt zwei Weingläser aus einer hölzernen Vitrine, die mit der unbekümmerten Hässlichkeit des Familienerbstücks aus der restlichen Einrichtung hervorsticht. »Obwohl auch das zu Ihnen passt. Und Köln gehört sowieso zu meinen persönlichen Lieblingsstädten. Können Sie mir sagen, warum Leute zum Einkaufen nach Frankfurt fahren? Außerdem, so schlecht wie alle sagen, schmeckt Kölsch gar
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