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Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chelsea Cain
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Paar war alles andere als ein junges Paar.
    Carol drückte das Taschentuch fester an ihr Gesicht. Für einen Moment wurde es schwarz am Rand ihres Sehvermögens, als ihr Blutdruck abrupt abfiel, aber sie holte dreimal tief Luft und stabilisierte sich. Nicht ohnmächtig werden, befahl sie sich.
    Sie war während des Kriegs Krankenschwester gewesen, in einem Luftwaffenstützpunkt außerhalb von London stationiert. Sie hatte Leichen gesehen. Sie hatte sogar schlimmere Leichen gesehen als diese hier.
    Nur nicht ohnmächtig werden. Wenn du ohnmächtig wirst, fällst du, und wenn du fällst, brichst du dir die Hüfte, und wenn du dir die Hüfte brichst, musst du das Haus aufgeben, die Spaziergänge, Otis …
    Die Leichen auf der Bank waren größtenteils von den langen Mänteln und den Hüten bedeckt, aber sie konnte ihre Gesichter sehen. Sie sahen aus wie Wachsfiguren, die man zu nahe an einem Feuer platziert hatte – die Züge begannen eben zu schmelzen. Ihre Münder standen offen, die Kiefer hingen tiefer, als es im Leben je möglich wäre, das Innere war schwarz, als hätten sie Öl getrunken. Ihre Nasen waren gebogen, als wäre die Haut ein wenig abgerutscht. Grauenhaft.
    Carol blickte im Garten umher und sah niemanden. Das Gelände war ein Labyrinth – Hecken, Gebüsche, Mauern und Tore. Möglicherweise waren andere Leute da, sie konnte sie nur nicht sehen.
    »Hallo?«, rief sie. »Ist da jemand?«
    Und dann noch einmal, so laut es einer alten Dame möglich war: »Hallo?«
    Sie war allein. Sie schloss die Hand um die Tüte voll Asche in ihrer Tasche und drückte sie fest.
    Ein leuchtend gelber Schmetterling flatterte vorbei und ließ sich auf dem Hut einer der Leichen nieder.
    Keine sterblichen Überreste von Menschen im Park. So lautete die Regel.
    Carol Littleton hatte kein Handy. Aber sie hatte ein Alarmhalsband mit einem Panikknopf. Blödes Ding. Ihre Töchter hatten darauf bestanden, dass sie es trug. Es hatte angeblich eine Reichweite von zweihundert Metern.
    Sie war einen Block vom Haus entfernt.
    Sie schaute sich um und sah noch immer niemanden. Dreihundert Meter unterhalb von ihr erzeugten Menschen, Autos und das ganze Getriebe der Stadt einen konstanten Summton. Carol erinnerte sich an das Geräusch, auch wenn sie es nicht mehr hören konnte.
    Sie blickte in Richtung ihres Hauses. Zweihundert Meter. Vielleicht war es nahe genug.
    Sie nahm das Taschentuch vom Mund, das rot von ihrem Lippenstift geworden war, fand mit zittriger Hand den Anhänger um ihren Hals und drückte auf den Knopf.

_ 26 _
    Archie hielt die Messingpillendose in der Hand und spürte ihr Gewicht. Er hatte sie zwei Jahre lang in der Tasche getragen. Hatte eine Schmerztablette um die andere daraus gezogen. Sie war das Erste gewesen, wonach er morgens griff, und das Letzte, was er nachts aus der Hand legte. Jetzt war sie leer. Nur ein Relikt aus seiner Vergangenheit. Er sah sie noch einen Moment lang an, dann ließ er sie in die Tasche zu seinen Füßen fallen und zog den nächsten Gegenstand aus der Schachtel mit persönlichen Gegenständen, die man ihm in der Schwesternstation gerade wieder ausgehändigt hatte. Seinen Gürtel. Ein leeres Handy. Schlüssel. Schuhe.
    Er fädelte gerade den Gürtel durch die Schlaufen, als Henry mit dem Handy in der Hand um die Ecke kam. Er sah nicht glücklich aus. »Es gibt eine Leiche im Rosengarten«, sagte er.
    »Im Stadion?«, fragte Archie. Die Blazers spielten in einem Stadion namens »Rose Garden«.
    »Nein«, sagte Henry. »Im richtigen Rosengarten. Dem mit den Blumen.«
    Gretchen hatte 2003 eine Frau ermordet und sie in den Rosengarten gelegt. »Das macht zwei Ortswiederholungen«, sagte Archie. »Der Rosengarten und Pittock Mansion.« Er schloss die Gürtelschnalle. Er konnte den Gürtel ein Loch enger schließen als beim letzten Mal, als er ihn getragen hatte.
    »Ich weiß«, sagte Henry.
    »Eine Sekunde noch«, sagte Archie, ließ einen Schuh fallen und schlüpfte hinein.
    »Du bist Zivilist«, sagte Henry. »Weißt du noch?«
    Archie sah ihn an.
    Henry gab ihm die Schlüssel für sein Haus. Dann blickte er über Archies Schulter hinweg. »Da kommt deine Fahrgelegenheit.«
    Archie fuhr herum und sah Susan Ward den Gang entlangkommen. Sie trug rote Jeans, ein weißes T-Shirt, schwarze Schnürstiefel und eine riesige rote Handtasche. Und sie hatte sich das Haar purpurn gefärbt.
    »Hallo«, sagte sie und berührte ihr Haar.
    Susan Ward. Archie hatte sie seit seiner Einlieferung nicht mehr

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