Gretchen
gesehen. Aber er hatte gewusst, dass sie an den meisten Vormittagen draußen im Wartezimmer gewesen war. Er hatte sich geweigert, sie zu sehen. Aber die Wahrheit war, dass es ihm gefallen hatte, sie direkt auf der andern Seite der Wand zu wissen.
»Du solltest sie nicht mit hineinziehen«, sagte er zu Henry.
Henry las gerade eine Nachricht auf seinem Blackberry. »Sie ist schon mittendrin«, sagte er.
»Ich schreibe einen Artikel über die ermordete Insassin«, sagte Susan.
»Patientin«, korrigierte Archie seufzend. »Nicht Insassin.«
Henry sah von seinem Blackberry auf. »Bringen Sie ihn zu mir nach Hause«, sagte er zu Susan. »Okay? Geht ins Haus. Schließt die Türen.« Er wandte sich an Archie. »Ich schicke einen Streifenwagen, der vor dem Haus Stellung bezieht.«
So wie er es sagte, wusste Archie nicht, ob die Streifenbeamten Gretchen draußen halten sollten oder ihn drinnen.
»Haben Sie die Haschkekse bekommen, die meine Mutter geschickt hat?«, fragte Susan.
»Das habe ich nicht gehört«, sagte Henry und entfernte sich.
_ 27 _
Es war zwei Monate her, seit Susan Archie Sheridan zuletzt gesehen hatte. Damals war er mit einer frisch genähten Wunde am Hals und dem Bauch voll Vicodin in einem Krankenhaus gelegen. Er sah jetzt besser aus. Aber selbst Leute im Sterbehospiz sahen besser aus als Archie damals.
»Und wie geht’s?«, fragte Susan, der nichts Besseres einfiel.
Sie verließen in ihrem Saab gerade das Krankenhausgelände. Susan hatte keine Ahnung, wo Henry wohnte, deshalb musste Archie sie leiten.
Sie waren gerade in östlicher Richtung auf die Gislan Street gebogen, und auf der Auffahrt zur I-84 stauten sich die Autos eine halbe Meile zurück. Archie blinzelte in die Spätvormittagssonne. »Wieso ist da so viel Verkehr?«, fragte er.
Kein: »Na, wie geht’s? Sie haben mir gefehlt. Tut mir leid, dass ich Sie all die Tage warten ließ.«
»Der Freeway ist verstopft«, sagte Susan. »Die Leute wollen aus der Stadt heraus.«
Sie kamen an einer Plakattafel vorbei, die für die nächste Folge von Americas Sexiest Serial Killers mit Gretchen Lowell warb.
Susan bemerkte, wie Archies Blick auf der Tafel verweilte.
»Was ist nur los mit den Leuten?«, sagte er.
Susan sah zu ihm hinüber. »Ich habe vor, ein Buch darüber zu schreiben – die Besessenheit vom Beauty Killer in unserer Gesellschaft. Vielleicht hat Ihnen Henry davon erzählt?«
Archie langte auf den Boden unter seinen Füßen und hob das rosa Kuvert auf. »Was ist das?«, fragte er.
Susan verdrehte die Augen. Sie hatte den ganzen Müll aus ihrem Posteingang auf den Wagenboden geworfen. »Eine bekloppte Valentinskarte«, sagte sie. »Sie war in meinem Posteingang beim Herald. Ich glaube, sie ist von Derek. Ich meine, wer schickt jemandem im August eine Valentinskarte? Es soll wohl irgendwie romantisch sein, aber bitte, ja?«
Archie drehte das Kuvert um und prüfte die Absenderadresse. Susan hatte sie nicht bemerkt. Eine Straße in Southwest Portland. Er zog die Karte aus dem Kuvert.
»Lesen Sie meine Post?«, fragte Susan. Es war ihr eigentlich egal. Sie hatte die Karte bereits aufgeklappt. Es stand nichts darauf geschrieben, nur eine leere, hässliche altmodische Karte mit zwei Herzen, die von einer goldenen Kette verbunden wurden.
Archie angelte sich seine Reisetasche vom Rücksitz, wühlte darin und zog eine Karte mit Kuvert heraus. Er zeigte sie Susan.
Es war die gleiche Karte.
»Die wurde gestern im Krankenhaus für mich abgegeben«, sagte er. Er zeigte auf den Absender auf seinem Umschlag. North Fargo 397.
»Das ist dort, wo ich die Leiche gefunden habe«, sagte Susan.
Dann zeigte er auf die Adresse auf ihrem Kuvert. Es war dieselbe Handschrift.
»Wir müssen zu dieser Adresse fahren«, sagte Archie.
Susan schüttelte den Kopf. Sie hatte einen Abgabetermin. Sie hatte keine Zeit, sich von Gretchen Lowell ermorden zu lassen. »Sie sind verrückt«, sagte sie. »Sie sollten Henry anrufen.«
Archie bückte sich erneut und hob die aktuelle Ausgabe des Herald auf. Susan musste wirklich mehr Ordnung in ihrem Wagen halten. Er deutete auf die Zeichnung auf der Titelseite. »Dort wohnt dieser Mann«, sagte er.
»Woher wissen Sie das?«, fragte Susan.
»Vertrauen Sie mir«, erwiderte Archie.
»Was ist mit Henry?«, fragte Susan.
»Wir rufen ihn an, wenn wir es überprüft haben«, sagte Archie. »Wenn wir es ihm jetzt erzählen, lässt er weder Sie noch mich hinfahren.«
Na toll. Erst der anonyme Anruf. Jetzt
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