Greywalker
dachten? Ich begann über die möglichen Auswirkungen einer solchen Haltung nachzugrübeln, als ich bemerkte, dass Cameron mich anstarrte, als könnte er meine Gedanken lesen. Er verzog bitter die Lippen und fuhr dann fort.
»Es war ihm völlig egal, was mit Sarah geschah. Für ihn bedeutete sie fünf Minuten Abwechslung, und dann vergaß er sie. Er scherte sich auch nicht darum, was er mir antat. Er hat nie gefragt, ob wir das auch wollen.«
»Aber du sagtest doch, dass du dich freiwillig auf ihn eingelassen hast, um Sarah zu befreien«, gab ich zu bedenken.
»Das stimmt, aber ich konnte ja nicht ahnen, in welche Situation ich mich da begab. Woher auch? Und Edward wusste ganz genau, dass ich ahnungslos war. Natürlich war ich naiv und hätte mich nie auf eine Situation einlassen sollen, in der ich jede Kontrolle verlor. Aber das, was dann passierte, hatte nichts mehr mit dem zu tun, worin ich eingewilligt hatte. Irgendwann änderte er auf einmal seine Meinung. Ich wusste nicht, dass er mich … mich in einen Vampir verwandeln würde! Ursprünglich wollte er das wahrscheinlich auch gar nicht. Aber dann tat er es einfach und es war ihm völlig egal, was ich davon hielt.
Zuerst war ich viel zu verängstigt und verwirrt, um mich zu wehren. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah! Ich war mir nicht einmal sicher, ob er ein Vampir war. Wie soll man das auch verstehen, wenn man vorher noch nie mit einem solchen Wesen zu tun hatte?«
Ich zuckte verständnisvoll mit den Schultern. Mir erging es nicht viel anders; ich hatte mich mit dem Gedanken auch noch nicht anfreunden können. Das Einzige, was ich verstand, waren nicht erfüllte Verträge. Wie sollte ich mich da mit Vampiren und anderen Unsterblichen herumschlagen können?
»Als ich ihm erzählt habe, was mit mir passiert, lachte er nur höhnisch«, fuhr Cameron fort. »Er fand es lustig, dass mir schlecht wurde und dass ich mich ständig übergab, weil ich keine feste Nahrung mehr zu mir nehmen konnte. Dann erklärte er mir den wahren Grund dafür und lachte nur noch lauter. Es war zwar erniedrigend und ich war vollkommen fertig, aber mir war gleichzeitig so übel, dass mir nichts anderes übrig blieb, als ihn um Hilfe zu bitten. Er willigte ein, weil er mich ›amüsant‹ fand.
Ich war wie ein gezähmtes Äffchen, das er seinen Freunden vorführte. Bei denen hörte ich allerdings genau zu, was sie sich so erzählten, und merkte bald, dass ich von Edward nichts Gutes zu erwarten hatte. Es machte mir nicht einmal viel aus – wenn man von den täglichen Demütigungen absieht … Es ging mir erst einmal darum, diese grundlegende Veränderung in meinem Leben zu bewältigen. Und das schaffte ich auch irgendwie. Aber Edward … Edward mag es, mit Menschen zu spielen. Es ist ein Sport für ihn. Ich meine normale Sterbliche, die nicht begreifen, was er da mit ihnen macht. Er kann auch anderen Vampiren gegenüber kalt und unangenehm sein, aber das ist nicht das Gleiche. Er hat eine ganze Schar von Jasagern um sich versammelt und behandelt jeden, den er nicht als ebenbürtig betrachtet, wie ein Tier oder ein Spielzeug. Und Sterbliche sind für ihn sowieso das Allerletzte. Er benutzt sie wie andere Leute Fußabtreter.
Als es mir endlich besser ging, sagte ich ihm die Meinung. Aber er lachte mich nur aus. Er meinte, dass ich keine Ahnung hätte, dass ich den Mund nicht so voll nehmen sollte, dass ich nur ein ›törichter kleiner Junge‹ sei, der noch mehr Tier als Vampir wäre. Ich sollte doch endlich den Mund halten, auf diejenigen hören, die über mir standen, und tun, was man mir befahl. Er erklärte mir auch, dass ich die moralischen Regeln und Grundsätze ›dummer Tiere‹ vergessen müsste, denn sie hätten für unsere höhere Spezies keine Bedeutung. Höhere Spezies«, wiederholte Cameron höhnisch.
»Dann bin ich ausgerastet. Ich bezeichnete ihn als Abschaum und meinte, dass er auf der Evolutionsleiter nicht höher stünde als ein Einzeller, der schwanzwedelnd durch die Ursuppe schwimmt. Dass er nicht besser wäre als eine Tsetse-Fliege, denn auch er trinkt das Blut anderer Lebewesen und verbreitet somit seinen eigenen Krankheitserreger. Ich meinte, dass jede Gesellschaft bestimmten Regeln folgen würde und nur Tyrannen wie er Schwächere und Hilflose ausnutzen und missbrauchen. In jeder Gesellschaft, die etwas auf sich hielte, würde man Typen wie ihn sowieso in den nächsten Vulkanschlund werfen.«
Cameron lehnte sich erschöpft zurück. Es hatte ihn offenbar
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