Greywalker
viel Kraft gekostet, das alles zu erzählen. »Er verprügelte mich daraufhin und richtete mich ziemlich übel zu, bevor er mich einfach in Tacoma aus dem Auto warf und mir drohte, mich, falls ich mich ihm jemals wieder nähern sollte, an den Washington Mutual Tower zu binden, damit die Morgensonne mich erwischen könnte. Und das war das Letzte, was ich von ihm gehört habe.«
Ich atmete tief durch, ehe ich den Mund öffnete. »Das war kein schlechter Vortrag.«
»Das erste Mal in meinen Leben, dass ich so eloquent war«, gab er zu.
»Und danach war wahrscheinlich niemand mehr bereit, mit dir zu sprechen, oder?«
»Genau. Alice hat mich einmal gewarnt, aber auch sie würdigt mich inzwischen keines Blickes mehr.«
»Wer ist Alice?«
»Alice Liddell. Eine Vampirin.« Cameron winkte ab und ich hakte für den Moment nicht nach. »Sie kann Edward nicht ausstehen, aber selbst sie meinte, dass ich ein bisschen zu weit gegangen wäre.«
»Bereust du inzwischen, was du gesagt hast?«, wollte ich wissen.
»Manchmal schon. Nicht was ich, sondern wie ich es gesagt habe. Ich bereue, dass ich so sehr die Kontrolle verloren habe. Er hätte mich töten können. Es war einfach dumm. Ich hätte einen anderen Ausweg finden müssen.« Er fing an, nervös an seinen Fingern zu zupfen.
»Es ist dir also peinlich, dass dein Temperament mit dir durchgegangen ist?«
»Ja, eigentlich schon. Ich kann manchmal ganz schön fies sein.«
Ich beugte mich vor und sah ihn eindringlich an, bis er meinen Blick erwiderte. Es gelang mir diesmal, seinen Augen nicht auszuweichen, obwohl ich das unangenehme Gefühl hatte, ein eiskaltes Messer würde mich durchfahren. »Du bist ein Idiot«, sagte ich.
»Das ist ja wohl etwas heftig, oder?«
»Ganz und gar nicht«, entgegnete ich. »Du bist kopfüber in eine Situation gesprungen, die du vorher weder ausreichend durchdacht noch verstanden hast. Unter den Umständen nachvollziehbar, aber danach hast du durch dein Verhalten alles nur noch schlimmer gemacht. Es sollte dir wirklich peinlich sein! Dein Temperament hat dir in Edwards Fall keinen Gefallen getan und wenn du nicht aufpasst, passiert dir das Gleiche bei mir. Lerne dich zu beherrschen. Du solltest verdammt große Angst haben. Ich jedenfalls habe sie.«
Ich lehnte mich zurück. Wut kombiniert mit Angst war extrem ermüdend.
»Ich habe auch Angst«, murmelte er. »Ich habe Angst vor allem. Vor dem Tageslicht. Vor normalen Menschen. Vor mir selbst. Ich habe Angst, dass ich jemandem weh tun könnte. Was ist, wenn ich meine Schwester oder meine Mutter angreife? Was ist, wenn ich ausraste und dabei jemanden umbringe? Um an Nahrung zu kommen, muss ich nicht töten, aber wenn es aus Versehen passiert? Meine früheren Freunde sind oft am Pioneer Square. Was soll ich machen, wenn mich jemand erkennt und … und … Ich will nicht so sein. Ich will kein Monster sein!«
Wer wollte das schon? Ich seufzte. »Reiß dich um Himmelswillen zusammen! Du bist kein Monster. Hast du denn den Danzigers etwas getan?«
»Nein, das nicht. Aber sie wissen über mich Bescheid und haben Vorkehrungen getroffen. Die hatten Magie und solche Sachen, um mich abzuschrecken.«
»Wenn das, was Mara sagt, stimmt, hast du auch magische Kräfte. Du bist ein magisches Wesen, Cam, ein Bewohner des Grau. Das wird schwierig, fürchte ich«, fügte ich hinzu und schüttelte den Kopf.
»Wieso?«
»Weil ich in diesen ganzen Geister- und Magiesachen nicht gut bin. Ich kann die Dinge nur so angehen, wie ich es gewöhnt bin, und das heißt, auf dem normalen menschlichen Weg – also Ermittlungen, Verfolgungen, Papierkriege. Wenn das nicht klappen sollte, weiß ich auch nicht weiter. Aber ich hoffe, wir werden es trotzdem überleben.«
»Es muss klappen … Ich weiß, dass du es schaffen kannst. Du musst einfach …«
»Vielen Dank für dein Vertrauen. Anscheinend hat Edward eine von der Firma TPM gemietete Wohnung benutzt, um dort Sarah einzusperren. Ich bin bereits dabei, herauszufinden, wie seine Verbindung zu TPM genau aussieht. Du kennst nicht zufällig seinen Nachnamen?«
»Edwards? Ich glaube nicht, dass ich ihn jemals gehört habe. Aber TPM – Mann! Die sind ein ganz schön großes Kaliber.«
»Ja, das kann man wohl sagen. Und es gibt noch einen hübschen Zufall, der dich interessieren könnte. Außer dem Wohnhaus gehören TPM auch diverse Clubs in Seattle, einschließlich zwei am Pioneer Square.«
»Wirklich?« Cameron lehnte sich interessiert vor. »Welche
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