Grieche sucht Griechin - Grotesken
Kleingärtnerei betrieb, hatte doch die Prügelei Wunder bewirkt (Matthäus bestand das Lehrerexamen, Magda-Maria die Kindergärtnerinnenprüfung, die andern gingen teils in die Fabrik, teils in die Heilsarmee). Doch blieb er nicht lange dort.
Die wackere Atmosphäre, der pfeifeschmauchende Kapitän und die strickende Mama langweilten ihn samt Bibi, der nun an 126
seiner Stelle die Heloisen-Kapelle besuchte. Viermal in der Woche.
»Sie sehen bleich aus, Monsieur Arnolph«, sagte Georgette, während er wieder einmal bei ihr an der Theke stand (hinter ihr über den Schnaps- und Likörflaschen nun Fahrcks im Edelweißrahmen), »haben Sie Kummer?«
Sie reichte ihm ein Glas Pernod.
»Alles trinkt Milch«, brummte er. »Die Radsportfreunde und nun auch Ihr Mann.«
»Was will unsereiner«, sagte Auguste, immer noch im Maillot jaune, und rieb sich die flimmrigen Beine: »Die Regierung hat eine neue Antialkoholkampagne beschlossen. Außerdem bin ich schließlich ein Sportler.«
Dann bemerkte Archilochos, wie Georgette eine Flasche Perrier öffnete.
»Auch sie«, dachte er schmerzlich. Und während er neben Chloé im Himmelbett lag, hinter den roten Vorhängen, und im Kamin die Holzscheite brannten, sagte er: »Es ist ja ganz schön in unserem kleinen Schlößchen mit den zufriedenen, alternden Pensionären, ich möchte nicht klagen, doch kommt mir die tugendhafte Welt, in der wir nun leben, unheimlich vor. Es scheint mir, als hätte ich die Welt bekehrt und sie mich, so daß die Sache wieder aufs gleiche hinauskomme und alles unnütz gewesen sei.«
Chloé hatte sich aufgerichtet.
»Ich muß an unser Gemäuer denken, die ganze Zeit, in unserer Heimat«, sagte sie. »Als ich mich damals mit Sand bedeckte, dich zu überraschen, und so dalag an diesem dunklen Morgen und nach dem Geier spähte, der über dem Gemäuer kreiste, spürte ich etwas Hartes unter mir, etwas Steiniges, wie zwei große Halbkugeln.«
»Die Liebesgöttin«, schrie Archilochos und sprang aus dem Bett. Auch Chloé hatte es verlassen.
»Wir dürfen nie aufhören, nach der Liebesgöttin zu suchen«, 127
flüsterte sie, »sonst werden wir von ihr verlassen. «
Sie zogen sich an, geräuschlos, packten einen Koffer, und als Sophie am andern Morgen das Schlafzimmer gegen elf nach langem vergeblichem Klopfen betrat, von den besorgten Pensionären begleitet, fand sie es leer.
ENDE II
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Mister X macht Ferien
Fragment
1957
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Mister X, dessen Existenz uns seit jeher etwas befremdet, verließ den makabren Ort seiner Tätigkeit (noch von einigen schwefelgelben Flammen umzüngelt) und gelangte nach endlosem Aufstieg über verschiedene Treppen und Leitern zu den Büroräumen des Mister U, dessen Beruf und Namen wir ebenso verschweigen wie den seines Besuchers. Mister X hatte sich herausgeputzt, sein Besuch war wichtig und seit undenk-baren Zeiten nicht mehr unternommen: herausgeputzt, soweit dies bei seiner zwar ehrlichen, aber von Natur aus nun eben schmutzigen Tätigkeit in den ungelüfteten und, wie alle Welt weiß, heißen Räumen möglich war, die er bewohnte. So schlotterte ihm ein zerschlissener Gehrock um die schmächtige Gestalt, die Hosen waren sorgfältig gebürstet und die Hände sauber – wenn wir von den schwarzumränderten Fingernägeln absehen; das gleiche galt vom Gesicht – wo wir die Ohren übergehen –, das einen bescheidenen und – für die meisten von uns vielleicht wider Erwarten – durchaus vertrauenerwecken-den Eindruck machte. Kurz vor der Türe jedoch, die in Mister Us Büroräume führte, verließ ihn der Mut, der ihn getrieben hatte, den Aufstieg zu wagen, war er doch im Begriff, vor seinen Chef zu treten. Die Hühnerleiter, die zu der morschen Türe führte (womit wir am besten die Art Leiter beschreiben), bestieg er zwar noch entschlossen, aber es vergingen einige Augenblicke, bis er zaghaft an der Klingel zog, in der Hoffnung, sie sei gerade noch zu hören. Doch verhielt sich die Klingel anders, als er glaubte: ihr gewaltiger, jenem der Kir-chenglocke ähnliche Klang ließ ihn zusammenzucken. Er brauchte nicht lange zu warten. Ein Klappfenster öffnete sich, und das rosige Antlitz eines weißbärtigen, alten Mannes schaute heraus, um gleich wieder hinter dem zufallenden Fensterchen zu verschwinden: Ebenso erschrocken wurde kurz darauf, wie sich das Fensterchen in der Türe zum zweiten Mal öffnete, der Besucher in seinem noch nicht von allem Koh-lenstaub gereinigten Gehrock von einem diesmal bartlosen
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