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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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alter Häuser. Enge Gassen erschienen. Sie waren schmutzig und zerfallen, mit Wäsche zwischen den hochgiebeligen Häusern.
    Der Chef schraubte sich näher. Ein Menschengewimmel erschien auf der Scheibe, Bettler, Zuhälter, Dirnen, bis auf die Zähne bewaffnete Polizisten dazwischen, und der Taschendieb Coucou le Lilas stahl einem Reisenden das Portemonnaie aus der Hose. »Eine böse Gegend«, bemerkte Mister U, »da hast du ganze Arbeit geleistet«, und er blickte etwas neidisch auf den Besucher. Ein Automobil raste durch die Gassen schräg in eine Kurve. »Viel zu schnell«, brummte der Chef. Die Insassen schossen mit Maschinenpistolen. »Das sollte verboten werden«, murmelte der Landgeistliche. Die Menschen stoben zur Seite. Die Polizei verkroch sich. Ein Marktstand wurde umge-worfen. Ein zweites Automobil jagte heran. »Bébé la Rose«, erläuterte Mister X. Der Chef runzelte die Stirne, umso mehr, als nun auch der Gangsterkönig Pipi le Lis sichtbar wurde, Kaugummi kauend und unrasiert, in der Türe eines Bordells, der Chef war nahe daran, abzustellen, auch Mister X war es peinlich. Pipi warf sein Messer, federnd glitt es Bébé ins linke Hinterrad. Der Wagen rutschte weg, die Polizei strömte zusammen, und Bébé la Rose schwang sich durch ein Fenster in Sicherheit (in die Arme der schönen Gangsterbraut May McMay). Oben in seinem Studierzimmer erwog Mister U eine 135

    neue Sintflut. Doch dann lächelte der Chef, und seine betrübten Züge glätteten sich. Das Zäzilienstiftchen war sichtbar geworden. Es lag am Ende eines großen Platzes, auf dem Kinder spielten. Es war von wilden Rosen umrankt, ein zierliches Rokokoschlößchen, halb verwittert, von einem verschnörkelten Eisenzaun umgeben. Schwestern huschten herum in altmodi-scher Tracht, Psalmen summend, auf leisen Schuhen, Gutes tuend: Schwester Marie vom Aussatz Naemans, Schwester Blanche vom siebenten Apostel, Henriette vom abgeschnitte-nen Busen der heiligen Agathe, Claire von Neros Fackelallee der brennenden Christen, und wie sie alle hießen. Auf gebogenen Sesselchen saßen sie und strickten Pullover von der Art, wie Mister U mit Befremden feststellte (indem er zurück-schraubte), wie sie der Gangsterkönig trug. Aus einem alten Saal tönte Orgelmusik, und die jüngste, Röschen von den zehntausend Martern, beschenkte hungrige Kinder mit Butter-broten. Mister Us Züge verklärten sich immer mehr, die Tauben, die lange verängstigt geschwiegen hatten, gurrten wie noch nie, und die Sonnenkringel an der Wand leuchteten im intensivsten Gold. Doch dauerte dies nur einen Augenblick, der Umschwung war um so peinlicher: Denn wie nun auf der verstaubten Scheibe die Domina Schwester Eugenia von der schauerlichen Apokalypse im Salon die Bibel las, hing neben ihr, über dem Kamin, rosenumkränzt, sichtbar hochgeehrt, ein Portrait. Mister X senkte verlegen das Haupt. Der Chef starrte verwundert auf die Scheibe und stellte deutlicher ein. »Wie ist es möglich«, sagte er, und seine Stimme war so gewaltig, daß sich vor den Fenstern Gewitterwolken zusammenballten, »wie ist es möglich, daß dein Bild über dem Kamin des Zäzilienstiftchens hängt? Ich bitte dich, mir darüber Auskunft zu geben.« Mister X schwieg lange. »Mein Hang zum Guten«, antwortete er endlich, von schlechtem Gewissen geplagt.
    »Erkläre«, befahl der Chef, und nun donnerte es draußen.
    »Wenn du vielleicht bei mir in der Vergangenheit nachsehen 136

    würdest«, stotterte der Besucher. »Bitte«, brummte Mister U.
    Er drückte einen Hebel am Fernsehapparat nieder. Nach verschiedenen verunglückten Experimenten erblickten die beiden Mister X (von schwefelgelben Flammen umzüngelt) am düsteren Ort seiner Tätigkeit. Er nahm eine Amtshandlung vor.
    Er untersuchte einen Diplomaten. Schwitzend, in einem immer noch eleganten Frack, stand der Verstorbene vor ihm. Mister X
    arbeitete gründlich. Nichts entging ihm, keine Sünde, kein Schandlohn. Die Sünden trug er ins Register ein, die Bankno-ten legte er auf seinen halbverkohlten Schreibtisch. Dabei schob er, wie der Chef nun feststellte, einige Scheine in einen Kasten, der die Inschrift trug: Zäzilienstiftchen. »Du unterstüt-zest meine Schäfchen«, sagte der Landgeistliche mit zitternder Stimme, »mit Geld, das dir deine amtlichen Untersuchungen einbringen?« Das stimme, gab Mister X kleinlaut zu, wovon sollten die Schwesterchen denn auch leben? Nichts koste so sehr wie Wohltaten. Das Geld komme dem Stiftchen mit der Post zu, die

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