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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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entblößte Busen schimmerten, Galgenvögel saßen in der Küche und fraßen, schmatzten, soffen die Vorratskammer und den Keller leer, Matthäus und Sebastian spielten mit zwei Holzbeinen im Eßzimmer Hockey, im Korridor übte der Onkel Kapitän Messerwerfen mit Mammachen, während Jean-Christoph und Jean-Daniel mit dessen Glasauge Marmeln spielten und Theophil und Gottlieb, Dirnen auf dem Schoß, die Treppengeländer hinunterrutschten; Arnolph rannte, von böser Ahnung gepeinigt, ins obere Stockwerk, am Galeriebesitzer Nadelör vorbei, der immer noch fiebernd in seinem Bett lag, durch das Boudoir, wo aus dem Badezimmer Männergesang und Wasserplantschen zu vernehmen war und die schrille Stimme Magda-Marias, und als er ins Schlafzimmer stürzte, lag im Bett Bruder Bibi mit einer Mä-
    tresse (unbekleidet); Chloé war nirgends, wo er auch gesucht, geforscht, gestöbert hatte.
    »Wo ist Chloé?«
    »Was denn, Bruder«, sagte Bibi vorwurfsvoll, eine Zigarre schmauchend: »Betritt nie ein Schlafzimmer ohne anzuklop-fen.«
    Bibi kam nicht weiter in seiner Rede. Mit seinem Bruder hatte sich eine Wandlung vollzogen. War er mit den zärtlich-sten Gefühlen in sein Schlößchen gestürzt, voll Liebe, voll Sehnsucht nach Chloé, so verwandelten sich nun diese Gefühle in Zorn. Der Unsinn, diese Familie jahrelang unterhalten zu 119

    haben, die Frechheit, mit der sie sein Schlößchen erobert hatte, die Angst, Chloé durch eigene Schuld verloren zu haben, verwandelten ihn in einen Wüterich. Er wurde ein Ares, ein griechischer Kriegsgott, wie es Passap vorausgesagt hatte, mit dessen Drahtplastik er denn auch auf den zigarreschmauchen-den und sich mit seiner Mätresse im Ehebett seines Bruders breitmachenden Bibi einhieb, daß der mit einem Schrei hoch-fuhr und, von einem Kinnhaken getroffen, zur Türe torkelte, wo ihn Arnolph noch einmal zusammenschlug, doch nun schon mit der Mätresse beschäftigt, die er an den Haaren in den Korridor schleppte und dem durch Bibis Gebrüll gewarnten und herbeirasenden Kapitän entgegenschmiß, worauf beide die Treppe hinunterpolterten. Aus allen Türen stürzten sich nun Messerstecher, Zuhälter und anderes Gesindel auf ihn, bald Mitglieder seiner Familie, wie Theophil und Gottlieb, die er die Wendeltreppe hinunterschmetterte, samt Nadelör, der mit dem Renaissancebett folgte, bald Sebastian und Matthäus, die er verprügelte, bald Magda-Maria mit ihrem Verehrer (Chinese), die er nackt durch die zersplitternden Scheiben zum Fenster hinaus in den Park hinunterwarf, bald unbekanntes Gelichter.
    Prothesen pfiffen durch die Luft, Stuhlbeine, Blut spritzte, Dirnen flohen, Mammachen wurde ohnmächtig, Strichjungen, Falschmünzer huschten davon, die Köpfe geduckt, vor Angst pfeifend wie Ratten. Er hieb um sich, würgte, kratzte, stieß zu, schmetterte zu Boden, schlug Köpfe ein, Stirnen zusammen, vergewaltigte eine Mätresse, während Holzbeine, Schlagringe, Gummiknüttel, Flaschen auf ihn niedersausten, kam wieder hoch, befreite sich, schäumend, splitterbesät, brauchte einen runden Tisch als Schild, Vasen, Stühle, Ölgemälde, Jean-Christoph und Jean-Daniel als Geschosse, und trieb so, vorrük-kend, alles niederstampfend, zerfetzend, mit unermeßlichen Flüchen, die ganze Mörderbande aus seinem Haus, in welchem nun die Tapeten in Fetzen herunterhingen, wehende Fahnen in der eisigen Zugluft, in dem sich verziehenden Tabaksqualm, 120

    der jaulenden Meute noch die Handgranate nachwerfend, die den Garten zugleich mit der ersten Dämmerung erhellte.
    Dann stand er lange vor dem Eingang seines demolierten Schlößchens und starrte in den Morgen, der heraufstieg, silbern hinter den Ulmen und Tannen des Parks. Warme Windstöße brausten, peitschten die Bäume, schüttelten sie, Tauwetter brach herein. Das Eis auf dem Dach schmolz, Wasser rauschte im Kännel. Alles tropfte, riesige Wolkenwände fegten über die Dächer und Gärten, schwer, trächtig; Regen rieselte in dünnen Schleiern. Zerschlagen, notdürftig angezogen, hinkte, schlotterte Nadelör an ihm vorbei in den nassen Morgen.
    »Sie als Christ.«
    Archilochos beachtete ihn nicht. Er stierte aus verschwolle-nen Augen vor sich hin, blutverkrustet, den Hochzeitsfrack zerfetzt, mit heraushängendem Futter, die Brille verloren.

    ENDE I

    (Es folgt das Ende für Leihbibliotheken.) 24a

    Er begann nach Chloé zu suchen.
    »Mein Gott, Herr Arnolph«, rief Georgette, als er vor der Theke stand und einen Pernod verlangte, »mein Gott, was haben Sie

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