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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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    Gesicht betrachtet, welches, seiner Humorlosigkeit nach, wohl einem der Angestellten in Mister Us Verwaltung angehören mußte: einem Wesen, das voll böser Ahnungen den Unterbruch des ewigen Einerlei in der Wirtschaft da oben mit einem ergebenen Seufzer wahrnahm. Doch wurde Mister X schneller vorgelassen, als wohl auch die beiden hinter der Türe geglaubt hatten. Der Chef ließ bitten. Der Angestellte – auch seinen Namen wollen wir verschweigen –, der noch jugendliche Oberangestellte Y, führte Mister X durch den Korridor, an dessen äußerem Ende Mister Us Studierzimmer lag, und so luftig war das Gebilde, daß der Besucher durch den morschen Boden immer wieder einsank, indem bald sein linker Fuß, bald sein rechtes Bein über namenlosen Tiefen schwebte. Doch auch diesen letzten Weg bestand er. Mister U, dem Aussehen nach einem lutherischen Landgeistlichen angenähert, empfing ihn freundlich. »Es ist alles in Ordnung bei Ihnen da unten, will ich hoffen«, sagte er und betrachtete Mister X nicht ohne Sorge, nicht ohne Mißtrauen. »Gewiß«, antwortete der, »alles ist in Ordnung.« Mister U atmete auf. »Gott sei Dank«, sagte er. »Wollen Sie sich setzen.« Der Besucher tat dies mit Vorsicht, denn der ihm angewiesene Stuhl war brüchig. Das Studierzimmer, irgendwo da oben, war groß und geräumig, doch ebenso luftig wie der Korridor vorhin, mehr ein Ver-schlag, mit bloßen Latten als Wänden, durch deren Risse und Astlöcher die Kälte des Raumes drang; der Besucher, an andere Räume gewöhnt und an andere Temperaturen, fror beträchtlich.
    Er war etwas geniert. Wenn ihn der Chef hinter seinem Schreibtisch auch mit Wohlwollen betrachtete und die vielen Tauben in den offenen Fenstern freundlich gurrten, so verwirrte ihn doch die Menge der Telephonbücher, die überall herum-lagen, das alte, lange, verrostete Teleskop, schon eingestellt und auf einen fernen Punkt im Weltall gerichtet, den es zu kontrollieren galt (eine blaue, unermeßliche Sonne drohte zu explodieren), und besonders war es die Miene des Oberange-131

    stellten Y, die ihn in Verlegenheit setzte: die Theologie war ihm unheimlich, wenn auch ihre Anfeindungen ihn mit einem gewissen Stolz erfüllten. Doch entließ Mister U den Oberangestellten Y, und X war allein mit seinem Chef. »Was willst du nun?« fragte Mister U, zum vertraulichen Du übergehend (sie hatten sich in einer historischen Nacht näher kennengelernt und angefreundet, eine Tatsache, die U vor seinen Angestellten nicht etwa verschwieg, weil er sich dessen schämte, sondern weil er, in Kenntnis ihrer einfachen und oft allzu pedantischen Gemüter, nicht Verwirrung stiften wollte). »Was willst du nun, mein lieber X? Ich weiß, Verbesserungen wären nötig bei dir da unten, gewisse hygienische Erleichterungen sollten geschaffen werden, wenn auch nicht für die Insassen, wo es aus prinzipiellen Gründen beim Stand der Dinge bleiben muß, so doch für das Aufsichtspersonal, aber eine Reform ist unmöglich, die Mittel fehlen, der Betrieb wirft nichts ab, soll ja auch nichts abwerfen, und so müssen wir uns denn einschränken. Du siehst selbst, daß wir uns auch hier oben nichts erlauben, und daß alles beim Alten, Provisorischen bleibt.« Mister X mußte niesen. Er sei nun seit Anbeginn im Betrieb, sagte er zögernd, seit sechstausend Jahren, oder seit sieben – so genau wisse auch er es nicht mehr –, und die schwere Arbeit, die ihm zugewiesen worden sei, habe er treulich getan. Das gebe er zu, antwortete der Chef, er könne sich nicht beklagen. Er habe sich immer geplagt, fuhr der Besucher fort, und, schon kühner geworden, fügte er bei, manchmal habe er das Gefühl, er sei der einzige im Betrieb, der wirklich arbeite. Es wurde dunkel im Studierzimmer, die Tauben hörten auf zu gurren, eine vorüberziehende Kumuluswolke verdeckte die Sonne, die Kälte des Raumes (des Weltraumes) wurde bedrohlich. Frö-
    stelnd saßen die beiden im milchigen Weiß des Gewölks.
    »Auch damit gebe ich dir recht«, sagte der Chef, »du arbeitest zielbewußt, und wir hier oben sind stärker im Planen als im Ausführen. Kein Wunder (hier schien es, als ob Mister U

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    seinen Untergebenen einen Moment lang beneide), deine Arbeit ist handfest, und unsere geistig.« Der andere war froh, daß die Tauben wieder gurrten und die Wolke sich lichtete (es hatte auch ein wenig zu schneien begonnen in dieser schwin-delerregenden Höhe). Pausenlos habe er seit Anbeginn gearbeitet, sagte er, mit beträchtlichem

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