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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Interesse zu erwecken vermocht, aber von unserer hervorragendsten Kultureinrich-tung, dem Zeitungswesen, hat man bis jetzt noch keine Notiz genommen.
    Als jahrhundertelanger Redaktor des ›Liassischen Beobachters‹ – den man oft mit der ›Neuen Trias-Zeitung‹, dem Kampfblatt der Konservativen, verwechselt – möchte ich in einigen kurzen Zügen die gröbsten Mißverständnisse berichti-gen und das dunkle Unwissen über unsere Zeit etwas erhellen.
    Die Zeitung ist eine der ersten Erfindungen der Menschheit, und diejenige Meinung wird die richtige sein, die sagt, daß die Zeitung die zweite Erfindung überhaupt gewesen sei. Sie wurde nötig, als der Mensch erkannte, daß er die Gabe des Erfindens besaß, eine Erkenntnis, die natürlich erst nach der ersten Erfindung – dem Aufrechtgehen auf ebener Erde mittels der beiden Füße anstelle des Kletterns auf Bäumen – entdeckt werden konnte. Es wurde dem Erfinder blitzartig klar, daß die Erfindungen, die dank dieser Fähigkeit noch zu erwarten waren, nur dann ein Bestandteil der gesamten Menschheit werden konnten, wenn es möglich wurde, sie durch Zeitungen allgemein bekannt zu machen.
    Die ersten Zeitungen erschienen noch in Baumrinde geritzt, aber schon im Perm-Zeitalter ging man dazu über, sie in Stein zu ritzen. Die damals aufkommenden Riesensaurier machten das solidere Material notwendig, wie wir ja auch damals anfingen, aus dem gleichen Grunde die Bäume zu verlassen und in Höhlen zu wohnen. Der Stein blieb von da an das bevorzugte Material, zuerst bei uns im Lias natürlich Kalkstein, 148

    erst später, als die Alpen hochkamen, verwendeten wir vorwie-gend Granit; ich selbst habe im letzten Viertel meiner journali-stischen Laufbahn dieses ideale Gestein noch erleben dürfen.
    Der ›Liassische Beobachter‹ erschien als einzige Zeitschrift des Mesozoikums jährlich, die ›Kreidezeit‹, das Organ der Fortschrittspartei, versuchte dies auch, ging jedoch ein, um dann später als ›Zukunft‹ wie die anderen Zeitungen zehnjährlich herauszukommen. Die ›Carbonalzeitung‹, unser ältestes Blatt, erschien alle hundert Jahre.
    Das Herstellen einer Zeitung war eine mühselige und zyklo-pische Arbeit, die gleichzeitig bärenhafte Kräfte, ein unbeug-sames Ertragen der unmenschlichsten Strapazen, unbestechli-ches Urteil und literarischen Stil verlangte. Es war ein gefährliches Unternehmen, bei dem man den Tod ständig vor Augen hatte, und mancher Kollege wurde unter einem stürzenden Zeitungsblatt, an dem er vielleicht nur noch den Abonnements-preis hinzufügen wollte, für immer begraben.
    Der menschliche Geist besiegt jede Schwierigkeit.
    Besonders im Mesozoikum wurde das Zeitungschreiben durch große Erfindungen und Entdeckungen erleichtert. In meine Zeit fällt vor allem die Entdeckung der Schwerkraft. Ich entsinne mich noch meiner ersten Zeitungsjahre am später gleichzeitig mit dem Jurameer eingegangenen ›Jurameerboten‹.
    Wir trugen damals noch Wasser ins Tal, und die Bäume fällten wir so, daß wir von oben nach unten ein Stück des Stammes nach dem andern abschnitten und es kletternd mühsam hinun-tertrugen.
    Die Schwerkraft griff nun im Lias mit ihren Segnungen überall wohltuend und erleichternd ein. Im Zeitungsgewerbe lernten wir den Stein aus steilen Bergrücken zu gewinnen und dann hinunterfallen zu lassen. Extraausgaben – wie etwa jene anläß-
    lich der Entstehung der Alpen – wurden auf runde Steine geschrieben und in die Ebene gerollt, eine Methode, die natürlich die Expedition der Zeitung, die ja der Verlag selbst über-149

    nehmen mußte, wesentlich vereinfachte. (Die Post wurde in der Tertiärzeit erfunden, also erst zu Beginn des Känozoikums.) Waren unsere ersten Zeitungen naturgemäß mit Nachrichten über unsere großen Erfindungen und Entdeckungen angefüllt, von denen ich hier nur die Nutzbarmachung des Feuers und die geschichtemachenden militärischen Erfindungen des Knüttels und des Steinwerfens erwähnen möchte (die den Krieg so grausam machten, daß er unmöglich wurde), so änderte sich doch mit der Zeit das Wesen der Zeitung. Hatte sie bis jetzt ausschließlich der friedlichen und harmonischen Entwicklung des Menschengeschlechts gegolten, so brach nun in der Hauptsache mit dem Lias eine neue und einschneidende Epoche an.
    Das friedliche Wohnen auf Bäumen, jenes goldene Zeitalter, von dem unsere Dichter singen, war zwar schon lange vorbei; doch hatte man die Hoffnung nicht aufgegeben, auf sie zurückzukehren. Die

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