Grieche sucht Griechin - Grotesken
Polizei. Vergeblich. Emilio erinnerte sich: Als ihm die Hand durchlöchert wurde, war es auch so gewesen. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Weg fortzusetzen. Er fing an zu pfeifen ›Üb immer Treu und Redlichkeit, bis an dein kühles Grab.‹ Er fühlte, wie man durch die Ritzen der verrammelten Türen und der vernagelten Fenster ängstlich nach ihm Aus-schau hielt. Er fuhr durch die Metzgergasse, die beim Denkmal des unbekannten Polizisten beginnt und an deren Ende der Zäzilienplatz liegt. Emilio fuhr so schnell als möglich, doch war die Metzgergasse noch schlechter gepflastert als die Keßlergasse. Er kam langsam vorwärts und wurde hin- und 139
hergerüttelt. Dabei wäre gerade hier Schnelligkeit am Platze gewesen, denn in den niedrigen Türen der Metzgergasse, die unverrammelt waren, standen die Gangster. Emilio kannte sie wohl. Es waren Namen, die man in Ck … nur zu flüstern wagte. Dodo la Tulipe, der finstere Witwenwürger, Froufrou le Pavot, der berüchtigte Fassadenkletterer, Dada la Lavande, der Kirchenschänder, Sissi la Rhubarbe, der Abtreiber, Coucou le Lilas, der Taschendieb, Chichi la Violette, der Vergewaltiger, und andere, nicht minder prominente Persönlichkeiten. Der Briefträger fuhr schwitzend durch ihre Reihen, pfeifend vor Furcht. Von der Presse war nur JP Whiteblacke zugegen, der Reporter der ›Epoche‹. Die Gangster standen gegen die Türpfosten gelehnt und starrten in den Himmel hoch über der Häuserschlucht (in einen strahlenden Sommerhimmel). »Weiche keinen Finger breit von Gottes Wegen ab«, pfiff der Briefträger. Die Gangster pfiffen mit. Schauerlich stieg die fromme Melodie zum Himmel. Die Gangster rührten sich nicht. Nun lag der Zäzilienplatz vor Emilio, mit Tauben und spielenden Kindern, sonnenbeschienen, und jenseits lag das Stiftchen, wo er, um aller Sorgen ledig zu sein, nur noch den Kamillentee trinken mußte, den ihm die Schwester Marie vom Aussatz Naemans, die Pförtnerin, aufnötigte, wenn er die Post brachte. Der Briefträger schien gerettet. Er hatte nur noch die Schenke ›Zum Frommen Wunsche‹ zu passieren, ein baufälliges, einstöckiges Haus mit Geranien vor den staubigen Scheiben und einem blankgeputzten himmelblauen Schild mit goldener Inschrift. Der Briefträger wollte spurten. Da lachte ihm aus der Schenkentüre May McMay entgegen und zwinkerte mit dem linken Auge (Mister U oben sah es mit Mißbeha-gen). Emilio bremste und stieg vom Rad. Zwar hatte May auch damals gezwinkert, als er den Lungenschuß bekommen hatte, von dem er eben kuriert worden war. Aber so sehr sich der Briefträger auch vor den Gangstern fürchtete (und vor einem neuen Lungenschuß), Frauen gegenüber war er ein Held. Er 140
lehnte das Rad an den Rand des Gehsteigs und sah May an. Sie war schön. Größer als der kiemgewachsene Emilio. Voll-schlank und blond, ganz anders als seine Gattin zu Hause in der Apostelgasse mit den fünf Kindern und der Windelwäsche.
»Willst du einen Pernod mit mir trinken?«, fragte May McMay und zwinkerte wieder. Die Gangster pfiffen weiter, an die Türpfosten gelehnt. Sie schienen sich nicht um den Briefträger zu kümmern. »Gerne«, stammelte Emilio. Schließlich hatte er nur einen Brief ins Stiftchen zu überbringen und kein Geld.
Heute war nicht der dreizehnte, das mußten auch die Gangster wissen. Wie träumend betrat er an der schönen May Seite die Schenke ›Zum Frommen Wunsche‹. Die Sonne fiel durch die staubigen Scheiben. In der Apostelgasse lag die Wohnung gegen Norden. Nur noch von ferne hörte er die Gangster pfeifen ›Üb immer Treu und Redlichkeit‹. Die Schenke war leer (damals beim Lungenschuß auch). Hinter dem Schanktisch stand der blinde Celio. Pluto, der alte Schäferhund, hob nicht einmal den Kopf. Auf dem Tisch neben dem Fenster standen zwei Gläser mit Pernod, grünlichweiß im Sonnenlicht. Emilio war zu glücklich, zu verwegen, um Verdacht zu schöpfen.
Mays Parfum duftete: Robe de nuit. Das letzte Mal war es Nuit d’amour gewesen. May setzte sich. Emilio setzte sich. Sie lächelten und stießen an. Emilio nahm einen Schluck und fiel in einen tiefen Schlaf. »Wenigstens eine neue Variante«, war das letzte, was er noch zu denken vermochte.
Schema einer Fortsetzung
Der Gangsterkönig Pipi le Lis betritt mit seinen Gangstern die Schenke ›Zum Frommen Wunsche‹ durch eine Hintertüre. May verschwindet, ebenfalls der blinde Celio und Pluto der alte Schäferhund. Ein Postsachverständiger nimmt dem
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