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Grieche sucht Griechin - Grotesken

Grieche sucht Griechin - Grotesken

Titel: Grieche sucht Griechin - Grotesken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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Schwesterchen hielten ihn für den reichen Gutsbe-sitzer Soederbloem (in der Fensterscheibe sah man Mister X
    ein Mandat ausfüllen), und als die Domina einmal um sein Bild gebeten, habe er es eben der nächsten Sendung beigelegt. Wer wisse dort unten schon, wie er aussehe. Dem Chef ging die Sache zu Herzen. Seufzend drehte er den Apparat ab. Die beiden kehrten zum Schreibtisch zurück (verstaubt, mit Spinn-weben im Haar). Wie es nun mit seinen Ferien stehe, wollte Mister X wissen. Das sei ihm peinlich und ganz gegen den Weltenplan (den er wieder entrollt hatte), aber er wolle seinen Oberangestellten Y fragen, der sei in dergleichen besser orientiert als er selber, antwortete der Chef. Der Oberangestellte erschien. Wenn man ihn schon frage, sagte er, so möchte er gestehen, daß er den Sinn von Mister X’ Betätigung nie begriffen habe, es stehe doch im Weltplan, daß dessen Unternehmen dereinst eingehen solle, was ihn doch im Grunde schon jetzt überflüssig mache. Der Chef nahm ein Stück altes Brot aus der 137

    Tasche. Er ging zum Fenster (die Wolken hatten sich verzogen) und fütterte die Tauben, warf dann durch das Teleskop einen Blick auf den fernen Punkt im Räume (auf die Sonne, die nun explodierte). »Mister X tut Gutes, und Y ist der Meinung, Mister X sei überflüssig«, sagte er endlich und musterte die beiden streng. »Es scheint sich um eine Rebellion zu handeln.«
    Mister X und der Oberangestellte Y verneigten sich verlegen, der Besucher nieste dabei, er hatte sich erkältet. »Nun gut«, sagte der Chef, »wir müssen es versuchen. Drei Wochen. Sie haben meine Schäfchen unterstützt, Mister X, und sollen Ihre Belohnung haben.« Es werde sich im Weltenplan nichts ändern, versuchte der Oberangestellte Y die letzten Bedenken zu beschwichtigen. Wenn auch Mister X nicht mehr zum Bösen verführen werde, drei Wochen lang, so würden die Menschen dennoch nicht davon ablassen es zu tun, und dies allein aus Gewohnheit. »Das mag sein«, antwortete der Chef, sich schon anderen, wichtigeren Aufgaben zuwendend und seine beiden Untergebenen entlassend: »Das mag sein. Ich befürchte nur, daß die Versuchung des Guten zu mächtig sein wird. Leben Sie wohl, Mister X Soederbloem« – worauf der Oberangestellte, den Besucher hinausbegleitend, insgeheim den Kopf schüttelte.
    Aufatmend und erfreut über das Gelingen seines Unterfangens kehrte Mister X in seine Behausung zurück, nicht ohne beim übermütigen Abstieg die Treppengeländer hinunterzurutschen, soweit solche vorhanden waren. Unten angekommen, schrieb er der Domina einige Zeilen, in denen er seine, des Gutsherrn Soederbloems, Ankunft für übermorgen ankündigte – er werde drei Wochen bleiben –, und übergab den Brief einem seiner Angestellten, der eben nach oben fuhr – es war ein unterer Beamter der Abteilung für Sinnlichkeit –, mit dem Auftrag, ihn in den nächstbesten irdischen Briefkasten zu werfen. Der Brief des Mister X (Gutsherr Soederbloem) an die Schwester Eugenia von der schauerlichen Apokalypse war der letzte, den der Briefträger Emilio am nächsten Morgen zu besorgen hatte.

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    Emilio war fünfundvierzig Jahre alt und stand fünfundzwanzig Jahre im Dienste der Post. Die monatlichen Geldsendungen, die er ins Zäzilienstiftchen bringen mußte (immer am dreizehn-ten), hatten ihn gezeichnet. Sein linkes Ohr war zerfetzt, seine rechte Hand durchlöchert; er hinkte und war eben von einem Lungenschuß kuriert worden. Auch diesmal machte er sich widerwillig auf den Weg. Er nahm ein Fahrrad, obgleich es ihn behindern mußte.
    Doch die Furcht verleitete ihn, die Altstadt stand in schlim-mem Ruf. So bog er denn von der Marschall-Vögeli-Allee nach links, fuhr am Pantheon vorbei und gelangte bei Vrener und Pott durch die Keßlergasse in die gefährliche Gegend. Seine Befürchtung erwies sich als richtig. Es fiel ihm auf, daß die Keßlergasse nicht wie sonst voll Geschrei und Lärm war, sondern leer. Kein Lebewesen war zu sehen – nicht einmal Ratten. Das Portal der Synagoge war verbarrikadiert, das Schulhaus niedergebrannt – es schwelte noch –, die Fenster der Häuser mit Brettern vernagelt, und die Geschäfte geschlossen.
    Der Briefträger wäre umgekehrt, aber da die Keßlergasse bei Vrener und Pott steil abfällt und das holprige Pflaster das Fahren gefährlich machte, bemerkte er die Veränderung erst, als er sich mitten in der Altstadt befand. Nun fuhr er an der Privatbank Wilhelm und Ernst vorbei. Ausgeraubt. Er spähte nach der

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