Grim - Das Siegel des Feuers
Obelisken hingen Skelette und angefressene Leichen. Was immer dort hauste — es hatte einen mörderischen Appetit.
Die Harpyien landeten auf dem Platz. Ihre Klauen zerbrachen die herumliegenden Schädel, als wären sie aus Zuckerguss. Grim fiel zu Boden. Mühsam kam er auf die Beine und fühlte sich sofort von einer magischen Schlinge umwickelt. Sie fesselte seine Arme auf den Rücken und ließ seinen Beinen gerade genug Raum, um über den Platz zu humpeln.
Die Frau mit den Eisaugen sprang von ihrem Reittier. Mühelos hielt sie Mia an beiden Schultern in der Luft und ließ ihren Blick langsam über ihr Gesicht gleiten. Grim machte einen Schritt auf sie zu, doch sofort sprangen zwei andere Gestalten von ihren Harpyien und hielten ihn an der Schlinge zurück. Die Frau beachtete ihn nicht. Lächelnd schob sie das Kinn vor und blies Mia weißen Atem ins Gesicht.
Sofort kam Mia zu sich. Sie hustete, als hätte sie Wasser in die Lunge bekommen, sah auf — und erstarrte. Jede Farbe wich aus ihrem Gesicht, als sie die Frau so dicht vor sich sah.
»Wenn du sie anrührst, breche ich dir jeden Knochen in deinem verfluchten Leib!«, grollte Grim und riss an der Schlinge, dass seine Bewacher ins Straucheln kamen.
Doch die Frau blieb unbeeindruckt. Sie maß ihn mit höhnischen Blicken. Dann wandte sie sich ab und schritt hoheitsvoll auf den Petersdom zu. Einer ihrer Schergen band Mia die Arme auf den Rücken. Dann stieß er sie vorwärts. Schweigend folgten sie der Frau über den Platz, immer darum bemüht, nicht auf Knochen und Schädel zu treten. Sie hatten die Treppe zum Dom noch nicht erreicht, als Grim der Gestank von gebratenem Fleisch in die Nase stieg. Blutige Rinnsale besudelten die Treppe, sie schienen aus dem Dom zu kommen. Grim musste aufpassen, auf den feuchten Steinen nicht auszurutschen, aber seine Wächter hatten keine Geduld. Sie stießen ihn vorwärts, geradewegs durch eine riesige Tür ins Innere der Kirche.
Für einen Moment sah Grim nur das Licht. In blutroten Lanzen fiel es durch die Fenster der Kuppel und bohrte sich in die schwüle Dämmerung des Doms. Dann sah er die Tafel, die sich vom Eingang bis zum Altar erstreckte. An ihr saßen Druden — allesamt in schwarze Felle oder Leder gekleidet — und aßen und tranken. Sie schienen sich köstlich zu amüsieren, und fast hätte man meinen können, dass es eine ganz normale Feier war, auf der sie gelandet waren. Aber Grim sah, was auf dieser Tafel lag. Er sah Menschenköpfe, die mit Eis gefüllt worden waren und deren Hirn lose in ihren geöffneten Schädeln lag. Er sah auch die Spieße, auf denen sich Menschenkörper über flackerndem Feuer drehten, und die Käfige zwischen den gewaltigen Pfeilern, in denen sich nackte Menschen aneinanderdrängten. Gerade holten drei Männer mit blutigen Händen einen der Gefangenen aus dem Käfig. Mit schnellen Handgriffen schnallten sie ihn vor einen der Pfeiler und schnitten ihm bei lebendigem Leib den Bauch auf. Ein Mädchen fing die Eingeweide in einem silbernen Behälter und stellte ihn auf die Tafel, wo sich sofort andere darüber hermachten.
Grim bekam einen Stoß in den Rücken und bewegte sich unter den ständigen Schlägen seiner Wächter den Gang hinab zum Altar. Mia lief neben ihm, er sah aus dem Augenwinkel, dass sie zitterte. Er selbst fühlte sich wie in einem Albtraum. Er sah Leichen ohne Kopf, die mit den Füßen nach oben aufgehängt worden waren und deren Blut in dünnen Rinnsalen auf den Boden lief. Er hörte die Schreie der Gefangenen, wenn sie aus den Käfigen gerissen wurden, um umgebracht zu werden oder ein Körperteil zu verlieren, das dann auf einem der zahlreichen Feuer landete. Die Wunden wurden mit glühenden Eisen verschlossen, es stank erbärmlich nach verkohltem Fleisch. Der Dom glänzte vom Blut der Getöteten.
Sie hatten den Altar erreicht. Grim wurde an beiden Armen gepackt und mit magischen Schnüren, die auch den letzten Rest seiner Magie unterdrückten, an ein umgedrehtes Kreuz gefesselt, während zwei der Wächter Mia auf den Altar banden. Er war mit etwas bedeckt, das Grim für Menschenhaut hielt. Mia gab keinen Ton von sich, aber er sah, dass sie fast besinnungslos war vor Angst. Remis hing noch immer ohnmächtig am Gürtel der Frau. Grim riss an seinen Fesseln, aber er erreichte nur, dass sie sich tiefer in sein Fleisch gruben.
Da trat ein muskulöser Mann mit dichtem schwarzen Haar vor einen riesigen Gong. Er hieb mit der Faust dagegen. Der Ton erschütterte die Tafel.
Weitere Kostenlose Bücher