Grim - Das Siegel des Feuers
setzte den Dolch an Mias Kehle. Grim starrte sie an, wie besessen riss er an seinen Fesseln. Er spürte die Schmerzen kaum, doch es war sinnlos, er konnte sich nicht befreien. Die Hilflosigkeit nahm ihm den Atem, Orgelmusik rauschte in seinen Ohren. Verzweifelt stieß er einen Schrei aus. Gleichzeitig brach die Tür zum Dom aus den Angeln. Krachend fiel sie auf die Tafel und erschlug drei Gäste unter sich. Und im Schein des roten Himmels stand Pedro von Barkabant.
Er wirbelte seinen Stab über dem Kopf, dessen Kugeln in scharfe Splitter zerbarsten und auf die Druden zurasten. Ehe sich auch nur einer der Gäste oder Wachtposten rühren konnte, schwebte vor jeder ihrer Stirnen ein tödlich funkelnder Splitter. Wie erstarrt verharrten sie regungslos und durchbohrten Pedro mit ihren Blicken. Einzig die Drudenkönigin war noch frei. Sie machte einen Schritt auf Pedro zu, dann hielt sie inne. Grim sah, dass sie heftig atmete, und er wusste, dass hier etwas vor sich ging, das er niemals vollständig begreifen würde. Hier ging es um Pedro und die Königin, und in beiden Gesichtern las Grim von einem lang gehegten Zustand der Hassliebe.
Pedro hatte seinen Stab sinken lassen. Jetzt sprang er aus dem Stand ein gewaltiges Stück weit nach vorn und landete zwischen schepperndem Geschirr auf der Tafel. Einige der Gäste wichen unmerklich zurück, doch sofort begannen die Splitter vor ihren Gesichtern zu glühen und ihnen wie ein Brennglas die Haut zu verkohlen. Sie keuchten vor Schmerzen, doch kein Wort drang über ihre Lippen.
Pedro drehte seinen Stab spielerisch in seiner Hand. Seine Stiefel zermalmten die Teller unter sich wie Figuren aus Gips. Kurz bevor er den Altar erreicht hatte, blieb er stehen. Er hatte die Königin nicht aus den Augen gelassen.
»Ontorya«, rief er laut. Der Name hallte in den Gewölben der Kirche wider wie der Gesang von Geistern. »Du hast mir den Fang gestohlen!«
Da lachte die Drudenkönigin. »Davon kann nicht die Rede sein, Pedro von Barkabant«, erwiderte sie. »Ich würde sagen: Du hast nicht gut genug darauf achtgegeben.« Katzengleich ging sie vor dem Altar auf und ab.
»Ich dachte mir, dass du wie immer uneinsichtig sein würdest«, sagte Pedro. Er deutete mit seinem Stab über die Tafel. »Du würdest nie auf ein Festmahl wie dieses verzichten. Daher mache ich dir einen Vorschlag.« Lautlos sprang er von der Tafel und landete dicht vor der Königin. Grim hielt den Atem an. Für einen Moment flackerten die Gesichter der beiden Feinde vor seinem Blick, und er wusste nicht mehr, wer von ihnen Ontorya und wer Pedro war — sie glichen einander aufs Haar. Dann beugte Pedro sich vor. Er war der Königin jetzt so nah, dass seine Lippen fast die ihren berührten, und zu seiner Verwunderung stellte Grim fest, dass Ontorya die Augen schloss. Doch was Pedro dann sagte, überraschte ihn noch mehr.
»Friss mich«, flüsterte er. »Ich weiß, dass du schon lange danach gierst. Jetzt bin ich zu dir gekommen. Du musst nur zustimmen.«
Ontorya hatte bei seinen Worten gelächelt. Jetzt öffnete sie die Augen. In ihrem Blick lag unverhohlenes Begehren. Pedro zog den Kopf zurück.
»Aber ich stelle eine Bedingung«, fuhr er fort und schaute an ihr vorbei. Er sah Grim an, und etwas in seinem Gesicht ließ Grim schaudern. »Lass jene frei!«
Ontorya sog scharf die Luft ein. »Ich hätte es wissen müssen«, erwiderte sie. Grim hörte zu gleichen Teilen Erregung und Vergnügen in ihrer Stimme.
»Wer sagt mir, dass du bleibst, wenn sie gehen dürfen?«, fragte sie. »Ich kenne deine Tücke, oft genug wurde ich Opfer deiner Finten. Ist es nicht so?«
Ein kaum merkliches Lächeln trat auf Pedros Gesicht. »So ist es, Königin der Druden — Meisterin der Täuschung, Herrin der Lüge.«
Für einen Moment glaubte Grim, Ontorya würde in Gelächter ausbrechen. Doch dann wurde ihr Gesicht wieder zu der Maske aus Eis. Langsam neigte sie den Kopf, ohne Pedro aus den Augen zu lassen, und flüsterte: »Gib mir dein Wort, Ehrenmann!«
Pedro zog ein Messer und hielt es dicht über seine Handfläche. »So wollen wir unser Abkommen gegenseitig besiegeln. Wenn eines gilt, dann das Ehrenwort der Verdammten. Ist es nicht so?«
Mit einer Bewegung, die zu schnell war für Grims Augen, riss Ontorya der Eisaugenfrau den Dolch aus den Fingern und zog ihn über ihre Hand. Ohne Pedro aus den Augen zu lassen, leckte sie ihr Blut ab. Pedro umfasste sein Messer, ballte die Finger zur Faust und zog es heraus. Blut quoll über
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