Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
Vom Netzwerk:
flirrendes Licht unter deiner Hand und die Sprossen, die mehrere Meter über deinem Kopf beginnen.« Er hielt inne, kurz flammte Anspannung über sein Gesicht. »Dieser Weg ist nicht für uns bestimmt. Du musst allein gehen.«
    Edwin atmete so erleichtert aus, dass Radvina ihn vorwurfsvoll ansah, und Mia wehrte sich nur mäßig erfolgreich gegen den Schauer, der sie beim Anblick der glühenden Treppe und der dunklen Tür hoch oben in dem Gebäude überkam. Wieder nahm sie das Prasseln der Flammen wahr, und für einen Moment meinte sie, Todesschreie erklingen zu hören, grausam und lähmend wie giftige Pfeile. Dann holte sie Atem. Verflucht noch einmal – sie würde sich doch nicht vor einem Haufen Lehm fürchten!
    Lyskian lächelte ihr zu. Was auch immer dich dort oben erwartet : Du bist ihm gewachsen. Vergiss das nicht.
    Sie nickte kaum merklich. Dann wandte sie sich um und kletterte die Leiter hinauf. Die Tür war aus Metall, doch sie fühlte sich warm an unter ihren Fingern, und kaum, dass sie sie berührt hatte, öffnete sie sich einen Spaltbreit. Mia warf einen Blick zu den anderen herunter – und schaute in undurchdringlichen Nebel. Es war, als wäre sie über den Wolken gelandet, doch der Himmel war noch immer nachtschwarz und wurde von feinen Nebelfetzen durchzogen. Sie schickte einen Abwehrzauber in ihre Faust, sah in das bläuliche Dämmerlicht, das ihr aus dem Türspalt entgegenfiel, und kletterte ins Innere des Gebäudes.
    Wie das Knistern einer Buchseite klang es, als die Tür hinter ihr zufiel. Sie befand sich auf einem verwaisten Dachboden, der abgesehen von der Staubdecke auf den morschen Dielen und den Spinnweben, die sich zwischen den Deckenbalken spannten, vollkommen leer war. Doch kaum hatte Mia das gedacht, spürte sie, dass sie sich irrte, und nahm gleich darauf auch den Grund dafür wahr. Dieser Raum war nicht verlassen. Er beherbergte einen Geruch von Lehm, Tinte und Pergament, der sie unwillkürlich entspannte und ihre Schritte vorwärts lenkte.
    Fahles Licht schien durch die Fenster, das Glas war so dünn, dass Mia es bei jedem ihrer Schritte vibrieren hören konnte, und als sie am anderen Ende des Dachbodens angekommen war, sah sie etwas in der Ecke liegen, halb von Staub bedeckt. Es war eine alte Puppe, das hölzerne Antlitz verwittert und nur noch teilweise bunt bemalt, das rote Kleid von Schmutz bedeckt und mit einem einzelnen Schuh an den Füßen. Sie hob die Puppe auf, sie war schwerer als erwartet, und kaum, dass Mia ihr den Staub vom Gesicht strich, drehten sich die Pupillen und wandten sich ihr zu. Erschrocken fuhr Mia zusammen, aber ihre Hände umklammerten die Puppe, als wären sie mit ihr verwachsen, und Bilder flammten in ihren Gedanken auf, die jede Furcht in gleißenden Blitzen zerrissen. Sie sah die Puppe in sauberem Kleid und mit geflochtenen Zöpfen auf einem Kinderbett sitzen, dann allein in einem leeren Zimmer, halb unter Zeitungen verborgen, und dann im Regen auf der Straße. Und plötzlich fand Mia sich in dem Puppenkörper wieder, sie fühlte ihr Herz seltsam dumpf in ihrer Brust schlagen, der Himmel spannte sich grau über ihr, die Autos donnerten an ihr vorüber, und die Regentropfen fielen wie in Zeitlupe auf sie herab. Sie brachten die Luft zum Singen, und sie spürte das sachte Platzen des Wassers, als der erste Tropfen ihre Stirn traf. Im selben Moment zerriss die Illusion. Sie stand wieder auf dem Dachboden, die Puppe nun ohne jeden Zwang in ihren Händen, aber sie konnte noch immer den Regen hören und den Gesang in der Luft, der nur langsam leiser wurde. Gerade noch hatte nichts als Dämmerung hinter ihr gelegen, aber jetzt nahm sie eine Bewegung im Augenwinkel wahr, leichter Wind strich ihr durchs Haar, und ein glimmendes, bronzefarbenes Licht erfüllte den Raum. Sie konnte die Erwartung spüren, die sich um ihre Brust schloss, und ihr stockte der Atem, als sie sich langsam umwandte.
    Das Erste, was sie sah, war das Jahrmarktskarussell, das mit seinen hölzernen Pferden und Kutschen in der Dämmerung des Dachbodens stand und seine schattenhaften Lichter bei jeder Drehung wie Flügelschläge über ihr Gesicht sandte – und über all die anderen Dinge, die auf einmal den Dachboden bevölkerten, gestapelt auf klapprigen Tischen und in Regalen aufgereiht: alte Spieluhren, halb verrostet und mit abgeplatztem Lack, in Leder gebundene Bücher, deren Duft Mia an modrige Kellergewölbe und vergessene Geschichten denken ließ, Spielzeug in jeder Art und Größe,

Weitere Kostenlose Bücher