Grim
hielt, um auf die Straße hinaussehen zu können, fiel das Licht auf ein altes, von Freude und Leid geprägtes Gesicht. Ihre Augen jedoch, die ihre unerwarteten Besucher blitzschnell absuchten, als würden sie ein Geheimnis erwarten, waren kohlrabenschwarz und hatten etwas Schalkhaftes.
Mehrere Riegel wurden von der Tür zurückgezogen, und als die Frau sie öffnete, schlug der Wind der Straße mit der warmen, abgestandenen Luft im Inneren des Hauses zusammen und zerrte an dem langen Mantel, den sie sich um den Leib geschlungen hatte. Lyskian neigte den Kopf, ehe er in Gedanken mit ihr sprach. Sie lächelte ein wenig, als sie den Blick über die Hartide schweifen ließ, der schließlich an Mia hängen blieb. Ihre Augen blitzten auf, überdeutlich hörte Mia auf einmal das Flattern ihres Mantels, und kurz glaubte sie, dass die Fremde ihr ein Rätselwort verraten würde, das seit jeher für sie bestimmt gewesen war und das sie doch noch lange nicht begreifen konnte. Aber die Frau schwieg. Sie neigte nur leicht den Kopf, und als sie sich von ihr abwandte, da wusste Mia, wie ihre Stimme klang: Rau und ein wenig knarzend wie ein ungestimmtes Cello, das es nicht mehr nötig hatte, mit anderen Instrumenten zu harmonieren.
Die Steine erzählen von euch , sagte die Frau auf Tschechisch, und Mia wusste nicht, ob sie die Worte aufgrund des Zaubers verstand, der über ihr lag, oder weil sie selbst Magie waren und in den Köpfen derer ihre Bedeutung entfalteten, für die sie bestimmt waren.
Manche Dinge ändern sich selbst für sterbliche Wesen und Dinge nie , erwiderte Lyskian. So wirst du wissen, aus welchem Grund wir gekommen sind, Tereza Matyas, wie du seit jeher die Dinge voraussiehst, die an diesem Ort geschehen.
Der Schalk in ihrem Blick flammte auf und verlieh ihrem Gesicht etwas Koboldhaftes. Ich weiß so manches, sagte sie und grinste verschmitzt. Das meiste davon wüsste ich am liebsten nicht. Es ist zu viel Kram in der Welt – in jeder übrigens, nicht nur in dieser. Wenn ich nicht aufpasse, sprengt er mir eines Tages meinen Kopf auseinander.
Sie lachte heiser, doch kaum, dass sie einen Schritt auf die Straße trat, nahm der Wind zu und wischte ihr das Lächeln von den Lippen. Sie wich ins Innere ihrer Behausung zurück, etwas Stechendes hatte sich in ihren Blick geschlichen, mit dem sie die Dunkelheit der Gasse durchdrang. Vieles ist im Umbruch in diesen Tagen, murmelte sie. Dinge, die selbst ich noch nicht deutlich sehen kann. Dinge, die weiter reichen als tausend Seiten Papier – viel weiter, als jeder von euch ahnt.
Sie kniff die Augen zusammen und fixierte einen Punkt in den Schatten. Kaum merklich strich sie mit dem Zeigefinger der linken Hand drei Mal durch die Luft. Der Wind zog sich zurück, zischelnd wie ein verwundetes Tier. Dann riss Tereza den Blick aus der Dunkelheit und sah Mia an. Geht, sagte sie sanft und deutete die Gasse hinauf. Die Tür auf der anderen Seite ist bereit für euch. Sie führt hinauf zum Dachboden. Sie führt euch … zu eurem Ziel.
Lyskian bedankte sich wortlos, auch Mia neigte den Kopf und sah aus dem Augenwinkel, dass die Hartide es ihr gleichtaten. Dennoch nahm sie sie kaum wahr, und als Tereza sich ins Innere des Hauses zurückzog, überkam sie der plötzliche Wunsch, ihr zu folgen. Doch die alte Frau schüttelte den Kopf. Sie hielt die Tür umklammert, als müsste sie einem plötzlichen Druck von innen standhalten.
Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder, sagte sie. Und vielleicht werde ich dich dann hereinbitten, Tochter des Sturms. Für dieses Mal jedoch entkommst du diesem Weg.
Mia war es, als würde sie ihr über die Wange streichen, obwohl Tereza nicht einmal die Hand gehoben hatte, und erst, als die alte Frau die Tür schloss und auf der Stelle jedes Licht auf der anderen Seite erlosch, glitt ein eisiger Guss über ihren Rücken. Nie zuvor hatte sie eine solche Dunkelheit gesehen wie jenseits dieser Fenster, eine Dunkelheit wie …
»Ich wusste es«, murmelte Jaro und riss sie aus ihren Gedanken. Er hatte beide Arme um den Körper geschlungen und schaute Lyskian aus schmalen Augen an. »Ich wusste, dass wir auf den Dachboden müssen.«
Mia zog die Brauen zusammen. Zum ersten Mal sah sie etwas wie Furcht in seinem Blick, und das machte sie nervös. Radvina schaute Jaro verständnislos an, aber Edwin nickte kaum merklich.
»Ich kenne die Legende«, sagte er. Sein Blick glitt zu Lyskian hinüber, der ihn ansah, als hätte er sich vor seinen Füßen
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