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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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spürte unnennbare Kälte darin und zugleich eine Hitze, die sie mit einem einzigen Wort verbrennen konnte, und obwohl die Furcht mit aller Macht nach ihr griff, schlug sie ins Leere. Der Duft von warmem Lehm, von Tinte und uraltem Pergament hüllte sie ein, sie sah den Fremden an, dessen Leib so unfertig war und der zugleich eine Ruhe verströmte, eine Sicherheit und Tiefe, die vollkommener war als alles, was sie zuvor empfunden hatte, und sie wusste, dass er eben dies sein musste: unvollendet, weil erst sie ihn vervollkommnete. Erst durch sie – lächelte er.
    Zaghaft erwiderte sie diese Geste und wich nicht zurück, als die Schatten aus seinem Blick verschwanden. Seine Augen waren noch immer schwarz wie zwei Spiegel in der Nacht, doch nun riss die Dunkelheit darin Mia nach vorn. Sie schwankte erschrocken, es war, als würde sie vornüber in einen tiefen Brunnen stürzen. Aber gleich darauf fühlte sie den Schleier, der über der Finsternis seiner Augen flatterte und sie am Fallen hinderte. Diese Dunkelheit war schön und schrecklich zugleich, sie war Licht und Schatten und Leben und Tod, sie war Anfang und Ende wie er selbst, und kaum, dass Mia das gedacht hatte, wusste sie, dass alle Legenden über ihn, den Golem, zutrafen und gleichzeitig auch nicht, und sie hörte seinen wahren Namen als leises Wispern in sich widerklingen: Duma .
    Du bist auf der Suche, sagte er mit einer Stimme, die warm war wie sonnenerhitzte Steine. Doch die Seele Prags ist kein Zauber, wie du glaubst. Die Seele Prags ist all das. Er breitete die Arme aus, flammengleich loderte das Licht der Gegenstände über seine Haut. Du darfst sie mit dir nehmen, wenn du ein Teil von ihr geworden bist.
    Mia ließ den Blick über das hölzerne Karussell schweifen, die Pferde sahen sie an, als könnten sie jeden Moment aus der Verankerung springen. Aber wie … , begann sie, doch Dumas Lächeln ließ sie innehalten.
    Erinnerungen sind Magie, sagte er sanft. Ich sammle sie seit dem Anbeginn der Zeit. Erzähle mir vom wahren Grund deiner Suche. Teile deine Erinnerung mit mir. Verschenke sie, und du wirst erhalten, worum du mich gebeten hast, lange schon, bevor du meinen Dachboden gefunden hast.
    Duma sah sie an, noch immer mit diesem stillen Lächeln auf dem Gesicht, und Mia hörte das Knarzen des Karussells hinter sich, sie fühlte den Staub unter ihren Füßen und das bronzene Licht, das zaghaft nach ihren Händen griff. Ihr Herz schlug schneller, während sie in die Dunkelheit von Dumas Augen schaute, diese Finsternis, die nur von einem dünnen Schleier zurückgehalten wurde, und obwohl sie der Drang überkam, sein Angebot zurückzuweisen, trat sie noch einen Schritt vor. Etwas lag in diesen Augen, das sie anzog, ein Geheimnis, das sie vor sehr langer Zeit in sich selbst vergraben hatte und dessen Atem ihr nun, da sie zustimmend den Kopf neigte, kalt und unausweichlich ins Gesicht fuhr. Sie schrak zurück, doch schon zerriss der Schleier vor Dumas Augen, und noch ehe sie sich hätte abwenden können, stürzte ihr Blick hinein in seine Finsternis.
    Im ersten Moment stockte ihr der Atem, denn eisige Kälte umfing sie. Sie wusste nicht, ob sie noch auf dem Dachboden stand, ihr Körper war wie betäubt, und als der Wind ihr ins Haar griff, war es, als würde sie fallen, kopfüber in die Dunkelheit. Mit aller Kraft drängte sie die Furcht zurück, mit offenen Augen raste sie dahin und erschrak heftig, als ein Ton durch die Nacht flog, donnernd und gewaltig. Etwas packte sie wie eine riesige Welle, ein Pulsen raste auf sie zu, und als es durch sie hindurchfloss, begriff sie, dass sie nicht in Duma hineingestürzt war, sondern in sich selbst, und dass der Ton, der sie umtoste, ihr eigener Herzschlag war.
    Dennoch hörte sie Dumas Stimme, sie war bei ihr in der Dunkelheit, und sie war es, die die Schatten zerriss und Bilder aus ihr hervorbrechen ließ – Erinnerungen aus lang vergangener Zeit. Ihre Mutter tauchte vor ihr auf, ihre Mutter mit dem langen, weichen Haar und dem Lächeln, das damals immer sanft und liebevoll gewesen war. Sie sah Josi, wie sie barfuß über eine Wiese tanzte, fühlte den leichten Sommerwind auf ihrer Haut, als sie neben Jakob im Gras lag, doch sobald sie versuchte, die Erinnerungen festzuhalten, verschwammen sie und entzogen sich ihr. Überdeutlich spürte sie das Bild, das unter all den anderen lag. Es stand in Flammen, sie fühlte, wie es sich näherte und alle Farbe anzog, bis die anderen Erinnerungen nichts mehr waren als graue

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