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Grim

Grim

Titel: Grim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Schwartz
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Bilder mit grotesken Tiermenschen, die aus schattengefluteten Augen in den Raum schauten, bereit, jederzeit ihre Rahmen zu verlassen, Kleiderpuppen ohne Arme oder mit halb zerfressenen Gesichtern, und immer wieder Spiegel mit blindem, gesprungenem Glas. Ein seltsamer Schimmer lag über den Dingen, als hätte sie jemand mit bronzenem Staub bedeckt, und als Mia die Puppe auf einen Sessel legte und vorsichtig über die Lehne strich, blieben glitzernde Partikel an ihren Fingern haften, und sie sah für den Augenblick der Berührung den Sessel in einem großen Tanzsaal stehen, sie hörte die Musik von Streichern und das Gelächter von Menschen aus lang vergangener Zeit. Alle, die auf diesem Sessel Platz genommen hatten, waren ein Teil von ihm geworden, der niemals verloren ging, und noch ehe Mia begriffen hatte, an was für einen Ort sie gelangt war, erlosch der Abwehrzauber in ihrer Hand, und ein Wort kam über ihre Lippen, zaghaft und geflüstert:
    »Erinnerungen … «
    Im selben Moment wurde der Duft um sie herum stärker. Sie meinte fast, die Sonne auf ihrer Haut zu fühlen, die Tinte in die Fasern des Pergaments eindringen zu sehen, und als sie den Blick zu jenem Schatten wandte, der vielleicht schon die ganze Zeit über dort hinten neben der Tür gestanden, ohne dass sie ihn bemerkt hatte, da hüllte der Geruch sie ein wie ein Windhauch an einem trägen Sommertag. Sie spürte, dass sie schneller atmete angesichts dessen, was da am Ende des Raumes stand, und hörte wie von ferne die Angst in Jaros Stimme. Aber etwas an der Art, wie ihr Gegenüber sie aus der Dämmerung heraus ansah, etwas in seinem Schweigen und dem sanften Zittern der Luft nahm der Angst die Macht. Kurz meinte sie, erneut die Flammen zu hören, die Schreie, die ihr ins Fleisch schnitten, doch gleich darauf erklang ein anderes Geräusch, etwas wie ein Lachen vielleicht, ein tiefes, dunkles Lachen aus der Dunkelheit. Sanft strich es über Mias Gesicht, erstickte die Flammen und brachte die Schreie zum Schweigen, und sie begriff, dass hier nicht der Ursprung der Zerstörung lag, die sie vor den Toren dieses Zimmers gespürt hatte. Hier fand sie Schutz vor ihr. Die Lichter der Gegenstände um sie herum wurden heller, sie glitten über den Körper ihres Gegenübers, als würde er sie rufen, und erhellten seine Gestalt.
    Auf den ersten Blick wirkte er wie ein ungewöhnlich großer Mensch, doch Mia wusste, dass dieser Eindruck so falsch war wie jeder Vergleich, den sie für das heranzog, was sie sah. Der Schatten, der ihr da gegenüberstand, war etwas anderes, etwas, für das sie keine Worte hatte – ein Wesen, wie sie es noch nie gesehen hatte. Sein Leib war unbekleidet und in groben Zügen aus Lehm geformt worden, sein kahler Schädel trug Narben, die sich auch über seine Brust zogen und mit metallenen Klammern verschlossen wurden, und ein Zeichen wie der Abdruck eines Siegels prangte auf seiner Stirn. Es war das hebräische Wort für Wahrheit , doch der erste Buchstabe war verwischt, so dass es auch Tod hätte bedeuten können, und für einen flüchtigen Moment schoss Mia der Gedanke durch den Kopf, dass beides vielleicht ein und dasselbe war.
    Die Nase in dem breiten Gesicht wirkte wie gebrochen, ein Schnitt wie mit einem Messer gezogen war sein Mund, und Mia konnte nicht sagen, ob er lächelte oder sich unter Schmerzen verzog. Sie sah ihm in die Augen, doch obwohl das Licht seinen Körper nun mit leichtem Bronzeschimmer überzog, verbargen sie sich in tiefem Schwarz. Sein Blick strich kühl und samten über ihre Haut, und ehe sie bewusst den Entschluss dazu gefasst hätte, tat sie einen Schritt auf den Fremden zu. Gleichzeitig setzte auch er sich in Bewegung. Die Lichter tanzten über seinen Körper, er verursachte keinerlei Geräusch, und doch fühlte Mia eine Erschütterung im Boden, als würde sich eine große Last über die Dielen bewegen. Wortlos gingen sie aufeinander zu, der Gang erschien ihr viel zu lang, als dass er in den Dachboden gepasst hätte, und während sie Schritt um Schritt tat, flogen die Gegenstände an ihr vorbei. Sie meinte, Stimmen aus weiter Ferne zu hören, die ihr verschlungene Geschichten in fremden Sprachen erzählten, und als sie dem Fremden gegenüberstand – kaum eine Armlänge von ihm entfernt – , da bemerkte sie die Risse, die sich über seine Haut zogen, wie feine Linien in getrocknetem Wüstensand oder die Spuren, die der Ozean mit seinen Wellen auf Sand formte. Die Schatten in seinen Augen loderten auf, sie

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