Grim
welcher Macht der Ruf des Fhar’al Brunkur ihn mitgerissen hatte. Er fuhr ein wenig zusammen, als er eine Haarsträhne auf seiner Haut spürte. Die Zarin hatte sich vorgebeugt, ihr Haar strich rauchgleich über seine Klaue.
»Du liebst sie«, sagte sie so leise, als könnten die Worte zerbrechen und ihr die Lippen zerschneiden, wenn sie lauter sprach.
Grim nickte kaum merklich. »Mehr als alles andere.«
Sieschauteihnan,alswäresieerstarrt,undzumerstenMalempfanderdenUmstand,dasssienichtatmete,alsbefremdlich.Erfröstelte,obwohlnochimmerihreWärmeströmeüberseineHautglitten,undalssieLuftholte,schienesihm,alswürdesieihmseineneigenenAtemrauben.ErstihrLächelnlöstedieAnspannung,diesichplötzlichüberihngelegthatte,undsienickte,alswürdesieeswissen.»Esmussschönsein,dasalssterblichesWesenzuerleben«,sagtesie.»Alsein Wesen, das das Ende dieser Dinge nicht erfahren muss.«
Grim schien es, als würde ein Impuls durch das Schwarz ihrer Iris gehen, etwas wie ein Schmerz oder ein Herzschlag. Er senkte kurz den Blick. »Manche Dinge enden nie, Zarin.«
Ihr Lächeln erstarrte, als würde sich eine Eisschicht darüber hinziehen. »Es gab eine Zeit, da dachte ich wie du«, sagte sie, doch ihre Worte waren scharf wie Klingen. » Für immer. Was sind das für Worte, Menschenherz? Was können sie einem Wesen wie mir bedeuten?« Sie lachte höhnisch, dann wurde sie wieder ernst, ganz plötzlich, und flüsterte: »Alles. Alles bedeuten sie. Gedanken an den Duft von frisch gemähtem Gras, von seiner Hand an meiner Wange, seinem Lächeln vor den Zinnen einer Burg im Sturmgewitter. Ich sehe ihn vor mir, uns beide, ich sehe uns durch die Wälder reiten, schneller als das Licht fliegen kann, und ich höre unsere Worte wie durch tausend Schleier aus Schnee. Für immer. Für immer. «
Sie erhob sich und trat ans Fenster, ohne das geringste Geräusch zu verursachen. Nur ihr Kleid raschelte leicht. Das Licht einer Silberpappel fiel auf ihr Gesicht, etwas Lebendiges inmitten des Zwielichts, das sie noch bleicher wirken ließ und den Eindruck von Kälte und Eis verstärkte. » Für immer «, wiederholte sie, und das Lächeln, das nun über ihre Züge glitt, war wie eine Verwundung. Es zerschnitt die Maske auf ihren Zügen, und auf einmal hatte Grim das Gefühl, sich abwenden zu müssen, so als hätte sie sich vor ihm entkleidet. Doch er tat es nicht. Zu schön war der Anblick, der sich ihm bot, das zarte und verletzliche Gesicht der Zarin und die Dunkelheit in ihren Augen, die ihre Gestalt zum Glühen brachte. »Diese Worte bedeuteten uns so viel«, sagte sie kaum hörbar. »Doch irgendwann sind auch sie nichts mehr als Erinnerungen. Die Dinge verlieren ihre Bedeutung, sie gleiten durch unsere Finger wie Sand, je verzweifelter wir versuchen, sie festzuhalten. Und eines Tages sehen wir einander an und erkennen die eigene Maske in den Zügen des anderen, und haben vergessen, ob dahinter etwas anderes liegt als Kälte und Furcht, schlimmer noch: Es ist uns gleichgültig geworden. Die Luft wird schal und stickig und es gibt keinen Ausweg mehr außer dem einen.« Sie hielt inne, ihre Stimme war von einer seltsamen Atemlosigkeit erfüllt bei den letzten Worten, so dass sie nur noch geflüstert über ihre Lippen kamen, und Grim sah Bilder in der halb zerbrochenen Fensterscheibe auftauchen, Bilder von verlassenen Sälen, Böden aus geronnenem Blut und glänzenden, rauchgefärbten Spiegeln. Er sah die Zarin in all diesen Bildern, sah sie in die Unterwelt Prags hinabsteigen, sah auch den Lord, der ihr nachblickte, irgendwo in einem der unzähligen Zimmer seines Reiches, und er hörte den Schrei in beiden widerklingen, diesen Ruf, zu dem sie nicht mehr fähig waren. Schnee verfing sich in Skarnaaras Haar, Grim sah es so deutlich, dass er fast meinte, ihn riechen zu können, und als die Bilder erloschen, merkte er, dass er aufgehört hatte zu atmen.
»Ihr seid geflohen«, sagte er, ehe er Luft holte, und erst, als er es aussprach, wusste er, dass er recht hatte. Für einen Moment war es totenstill, die Kälte im Raum wurde so schneidend, dass sie Grim an die Kehle griff. Gerade wollte er die Klaue heben, um den Bann zu durchbrechen, da fuhr die Zarin herum. Sie tat es so schnell, dass ihr Haar durch die Luft wirbelte und einen Vorhang in Fetzen riss. Der Zorn in ihren Augen setzte die Fenster in rote Flammen. Gestalten tauchten darin auf, Grim sah Funken sprühen und hörte die Schreie längst verstorbener Kinder. Die Zarin stand regungslos, doch
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