Grim
kein wehrloses Kind, sie war eine Kriegerin, verflucht noch mal, und sie würde nicht den Kopf neigen vor einer Bestie der Schatten!
Als hätte er ihre Gedanken gehört, trat der Keiler auf die Lichtung. Mia meinte, etwas wie ein Zögern in seinen Bewegungen bemerkt zu haben, doch gleich darauf stieß er ein Knurren aus, so tief und boshaft, dass sie zu zittern begann. Er rief seine Rotte, und während er zu ihr herüberstierte, traten weitere seiner Art aus den Schatten. Sie wirkten wie Geschwüre auf dem Grund der Wiese, und als sie sich um ihren Anführer versammelt hatten, hob der Keiler den Kopf. Das Rot seiner Augen schien an seinen Wangen hinunterzulaufen, es sah aus, als flösse Blut aus seinem Schädel, und als er das Maul verzog und Mia musterte, trat etwas Menschliches in seinen Blick, etwas, das ihr eine namenlose Angst in die Brust pflanzte. Gleichzeitig legte sich etwas um ihre Kehle, das schlimmer war als jeder Lähmungszauber und jeder Schmerz. Ekel zog ihr die Brust zusammen, sie wollte sich abwenden, doch sie tat es nicht. Du fällst vor niemandem auf die Knie, sagte sie sich . Niemals.
Etwas wie Zorn lief über die Züge des Keilers, oder vielleicht war es etwas anderes, längst Vergessenes. Seine Hauer spiegelten das rote Licht des Felsens und wirkten wie mit Blut überzogen. Dann sprang er vor. Mia sah ihn auf sich zurasen, gewaltig und mit diesem irrsinnigen Blick, sie meinte schon, seine Zähne in ihrer Kehle zu fühlen und konnte ihn riechen: das klebrige schwarze Fell, die Fleischreste seiner letzten Opfer zwischen seinen Zähnen – und seinen Schweiß. Es war der Schweiß eines Menschen. Mia spürte Abscheu in sich aufflammen. Im selben Moment hörte sie einen Schrei, wild und ungezügelt und so kalt, dass sie den Blick losriss und in den schwarzen Höhlenhimmel schaute, dorthin, woher der Schrei gekommen war.
Es war Lyskian, der in wahnsinniger Geschwindigkeit durch die Luft raste. Sein Haar flatterte im Wind, seine Haut war so bleich, dass sie fast durchscheinend wirkte, und seine Augen brannten in so schwarzem Feuer, dass die Schatten des Waldes grau wirkten dagegen. Er trug zwei Fackeln in den Händen, die schneeweiß aufloderten. Eine davon schleuderte er auf den Keiler, wenige Armlängen von Mia entfernt traf er das Untier und katapultierte es weit auf die Lichtung zurück. Gleich darauf landete Lyskian am Waldsaum, doch er erhob sich umgehend wieder in die Luft, glitt wie über unsichtbare Steine hinweg und setzte den Rand der Lichtung mit der anderen Fackel in Brand. Die Flammen loderten hoch auf und setzten sich in Bewegung. Das Feuer kesselte die Angreifer ein und wo es sie traf, verbrannten sie qualvoll bei lebendigem Leib.
Lyskian landete mitten auf der Lichtung, und in diesem Augenblick, da Mia ihn sah, mit wehenden Haaren, umringt von Schatten und Grausamkeit, da tauchten Bilder der Schlachten in ihr auf, in denen er gekämpft hatte, der Jagden, die er bestritten hatte mit seinem alten Meister, und der Kriege, in denen er Feldherr gewesen war in Zeiten, die Mia nur vom Hörensagen kannte. Er riss sein Schwert in die Luft, donnernd entfachte es sich in schwarzem Feuer, und als er herumfuhr und es gegen seine Feinde führte, glitten ihre Leiber zu Boden wie abgeschnittene Getreideähren.
Mia wusste, dass das Schwert aus Aryon gefertigt war, dem Stahl der Ältesten Vampire der Ersten Zeit, sie kannte die Bannsprüche und Formeln, auf denen seine Macht beruhte. Lyskian führte es mit Leichtigkeit. Obgleich die Ghoraz ihm tiefe Wunden schlugen, brachten sie ihn nicht zu Fall. Immer schneller wurden seine Bewegungen, immer gleißender der Schein des Schwertes, und als Mia ihm in die Augen sah, schauderte sie gegen ihren Willen. Dies war nicht nur ein Krieger der freien Völker der Schattenwelt. Dies war ein Vampir, dem Gut und Böse nichts galten, wenn er sie nicht an seine eigenen Maßstäbe band. Die menschliche Fassade bröckelte, und das, was Mia dahinter erblickte, zog ihr das Blut aus dem Kopf. Allzu leicht war es, sich von dem Schein täuschen zu lassen, allzu leicht, sich in ihm zu verlieren, doch nun, da Lyskian gegen die Ghoraz kämpfte, nun, da kein Raum blieb für Masken jedweder Art, schaute Mia zum ersten Mal ohne jeden Schleier in den Abgrund, der sich in ihm verbarg. Lyskian schlug seine Feinde nieder, tränkte die Lichtung in Blut, und als er den Letzten von ihnen mit einem Stich ins Herz tötete, riss er den Kopf in den Nacken und zog die Lippen von den
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